Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Titel: Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
Vom Netzwerk:
siehst du aus.« Sie kreischte.
    Und so wollen wir noch einmal, wollen wir noch einmal, valle ralle ralle lala, lustig sein, lustig sein, trallalala. Und so wollen wir noch mal, wollen wir noch einmal lustig sein, lustig sein.
    Und sie stehen auf vom Sofa – Sie sind doch nicht krank, Herr, sonst gehen Sie zum Onkel Doktor – und wandeln lustig nach der Hasenheide, in die Neue Welt, wo es hoch einhergeht, wo die Freudenfeuer brennen, Prämiierung der schlanksten Waden. Die Musik saß im Tiroler Kostüm auf der Bühne. Sachte ging es: »Trink, trink, Brüderlein, trink, Lasse die Sorgen zu Haus, Meide den Kummer und meide den Schmerz, Dann ist das Leben ein Scherz, Meide den Kummer und meide den Schmerz, Dann ist das Leben ein Scherz.«
    Und das ging in die Beine, mit jedem Takt, und zwischen den Bierseideln schmunzelten sie, summten mit, bewegten die Arme im Takt: »Sauf, sauf, Brüderlein, sauf, Lasse die Sorgen zu Haus, Sauf, sauf, Brüderlein, sauf, Lasse die Sorgen zu Haus, Meide den Kummer und meide den Schmerz, Dann ist das Leben ein Scherz.«
    Charlie Chaplin war in eigner Person da, flüsterte nordöstliches Deutsch, watschelte in den weiten Hosen mit den Riesenschuhen oben auf dem Geländer, faßte eine nicht allzu junge Dame am Bein und sauste mit ihr die Rutschbahn runter. Zahlreiche Familien kleckerten um einen Tisch. Du kannst einen langen Stock mit Papierpuscheln dran kaufen für 50 Pfennig und damit jede beliebige Verbindung herstellen, der Hals ist empfindlich, die Kniekehle auch, nachher hebt man das Bein und dreht sich um. Wer ist denn hier alles? Zivilisten beiderlei Geschlechts, ferner eine Handvoll Reichswehr mit Anschluß. Trink, trink, Brüderlein, trink, lasse die Sorgen zu Haus.
    Es wird gequalmt, Wolken aus Pfeifen, Zigarren, Zigaretten in die Luft, daß die ganze Riesenhalle vernebelt. Der Rauch sucht, wenn es ihm zu rauchig wird, vermöge seiner Leichtigkeit oben zu entweichen, findet auch richtig Ritzen, Löcher und Ventilatoren, die bereit sind, ihn zu befördern. Draußen jedoch, draußen ist schwarze Nacht, Kälte. Da bereut der Rauch seine Leichtigkeit, sträubt sich gegen seine Konstitution, aber es ist nichts rückgängig zu machen infolge einseitiger Drehung der Ventilatoren. Zu spät. Von physikalischen Gesetzen sieht er sich umgeben. Der Rauch weiß nicht, wie ihm ist, er faßt sich an die Stirn und sie ist nicht da, er will denken und kann nicht. Der Wind, die Kälte, die Nacht hat ihn, und ward nicht mehr gesehn.
    An einem Tisch sitzen zwei Paare und blicken auf die Passanten. Der Herr in Pfeffer und Salz neigt sein schnurrbärtiges Gesicht über den vorhandenen Busen einer schwarzen Dikken. Ihre süßen Herzen zittern, ihre Nasen schnüffeln, er über ihrem Busen, sie über seinem eingefetteten Hinterkopf.
    Nebenan lacht eine Gelbkarierte. Ihr Kavalier legt den Arm um ihren Stuhl. Sie hat vorstehende Zähne, Monokel, das offene linke Auge ist wie erloschen, sie lächelt, pafft, schüttelt den Kopf: »Was du auch fragst.« Ein junges Huhn mit blonden Wasserwellen sitzt am Nebentisch, beziehungsweise deckt mit ihrem kräftig entwickelten, aber verhüllten Hinterteil die Eisenplatte eines niedrigen Gartenstuhls. Sie näselt und summt glücklich zur Musik unter der Wirkung eines Beefsteaks und dreier Glas Helles. Sie plappert, plappert, legt den Kopf um seinen Hals, um den Hals des zweiten Einrichters einer Neuköllner Firma, dessen viertes Verhältnis dieses Huhn in diesem Jahr ist, während umgekehrt er ihr zehntes, beziehungsweise elftes ist, wenn man ihren Großvetter hinzurechnet, der aber ihr ständiger Verlobter ist. Sie reißt die Augen auf, denn oben kann Chaplin jeden Augenblick runterfallen. Der Einrichter greift mit beiden Händen nach der Rutschbahn, wo sich auch was begibt. Sie bestellen Salzbrezeln.
    Ein 36jähriger Herr, Mitinhaber eines kleinen Lebensmittelgeschäfts, kauft sich sechs große Luftballons à 50 Pfennig, läßt im Gang vor der Kapelle einen nach dem andern hochgehen, wodurch es ihm mangels sonstiger Reize gelingt, die Aufmerksamkeit einsamer oder paarweis wandernder Mädchen, Frauen, Jungfrauen, Witwen, Geschiedenen, Treue- und Ehebrecherinnen auf sich zu ziehen und bequem Anschluß zu finden. Man zahlt 20 Pfennig im Verbindungsgang für Gewichtstemmen. Ein Blick in die Zukunft: Man tupfe mit dem gut angefeuchteten Finger auf das chemische Präparat in dem Kreise zwischen beiden Herzen und wische damit einige Male über das obige leere Blatt und

Weitere Kostenlose Bücher