Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
Zweistreifer daneben denkt: Überlegt die sich nun, ob sie fahren will und ob sie genug bei sich hat, oder wartet sie auf einen. Aber sie biegt nur ein bißchen den Körper in ihrem Samtmantel, als wenn er ihr ausgerenkt war, dann setzt sie sich wieder in Betrieb, sie ist bloß unwohl und hat dann jedesmal solch Kneifen im Leib. Sie macht ihr Lehrerinnenexamen, heut will sie zu Hause bleiben und heiße Umschläge machen, abends wird es sowieso besser.
Eine Weile lang nichts, Ruhepause, man saniert sich
Am Abend des 9.Februar 1928, an dem in Oslo die Arbeiterregierung gestürzt wurde, die letzte Nacht im Stuttgarter Sechstagerennen gerannt wurde – Sieger blieben Van Kempen-Frankenstein mit 726 Punkten, 2440 Kilometer – die Lage im Saargebiet verschärft erschien, am Abend des 9.Februar 1928, einem Dienstag (bitte einen Augenblick, Sie sehen jetzt das geheimnisvolle Antlitz der fremden Frau, die Frage dieser Schönen gilt jedem, auch Ihnen: rauchen Sie schon Garbaty Kalif?), an diesem Abend stand Franz Biberkopf am Alexanderplatz an einer Litfaßsäule und studierte eine Einladung der Kleingärtner von Treptow-Neukölln und Britz zur Protestversammlung nach Irmers Festsälen, Tagesordnung: die willkürlichen Kündigungen. Darunter war das Plakat: die Qual des Asthma und Maskenverleih, reiche Auswahl für Damen und Herren. Da stand plötzlich der kleine Meck neben ihm. Meck, den kennen wir doch. Siehste woll, da kimmt er, lange Schritte nimmt er.
»Na, Franzeken, Franzeken«, war der Meck glücklich, glücklich war der, »Franz, Mensch, das hätt ich nich für möglich gehalten, sieht man dir auch wieder, bist ja wie aus der Welt. Ich hätt geschworen –« »Na, was denn? Kann mir schon denken, daß ich wieder was gemacht habe. Nee nee, Junge.« Sie schüttelten sich die Hände, schüttelten sich die Arme bis zu den Schultern, schüttelten sich die Schultern bis zu den Rippen, klopften sich die Achseln, der ganze Mensch wackelte und kam in Bewegung.
»Es ist man so, Gottlieb, daß man einen nich sieht. Ich handle ja hier herum.« »Hier am Alex, Franz, was du sagst, da hätt ich dir doch mal treffen müssen. Läuft man an einem vorbei und hat keine Augen.« »Is so, Gottlieb.«
Und untergehakt, die Prenzlauer Straße runtergezogen. »Du wolltst doch mal Gipsköppe handeln, Franz.« »Für Gipsköppe fehlt mich das Verständnis. Zu Gipsköppen gehört Bildung, die hab ich nicht. Ich handle wieder Zeitungen, das nährt seinen Mann. Und du, Gottlieb?« »Ich steh drüben an der Schönhauser mit Herrenkluft, Windjacken und Hosen.« »Und wo kriegst du die Sachen her?« »Bist doch noch immer der alte Franz, immer nach dem Woher fragen. Das fragen bloß die Mädchen, wenn sie Alimente wollen.« Franz trollte wortlos neben Meck, schnitt eine finstere Miene: »Ihr macht euren Schwindel, bis ihr reinschliddert.« »Was heißt hier reinschliddern, was heißt Schwindel, Franz, man muß Geschäftsmann sein, muß sich auf den Einkauf verstehen.«
Franz wollte nicht weiter mit, er wollte nicht, er war störrisch. Aber Meck ließ nicht nach, schwabbelte und ließ nicht nach: »Kommst mit in die Kneipe, Franz, kannst dir auch da vielleicht die Viehhändler ansehen, du weißt doch noch, die mit dem Prozeß, die mit uns am Tisch saßen bei der Versammlung, wo du dir den Schein geholt hast. Die haben sich schön reingelegt mit ihrem Prozeß. Jetzt sind se beim Schwören, und jetzt heißts Zeugen holen fürs Schwören. Mensch, die werden vom Pferd purzeln, aber mitm Kopp zuerst.« »Nee, Gottlieb, ich will doch lieber nich mitkommen.«
Aber Meck gab nicht nach, es war sein guter alter Freund und noch der beste von allen, natürlich ausgenommen den Herbert Wischow, aber das war ein Lude, und von dem wollte er nichts wissen, nee, nie mehr. Und untergehakt, die Prenzlauer Straße runter, Likörfabrik, Textilwerkstätten, Konfitüren, Seide, Seide, ich empfehle Seide, etwas rasend Modernes für die Frau von Format!
Und wie es acht Uhr war, saß Franz mit Meck und noch einem, der stumm war und bloß Zeichen machte, am Tisch in der Ecke in einer Kneipe. Und es ging hoch her. Meck und der Stumme staunten, wie Franz ganz auftaute, mit Wonne aß und trank, zwei Eisbeine, dann Bohnen mit Einlage und eine Molle Engelhardt nach der andern, und ihnen spendierte er. Sie stemmten die Arme zu dritt aneinander, daß keiner noch an den kleinen Tisch rankäme und sie störte; nur die magere Wirtsfrau durfte ran und abräumen und aufräumen und
Weitere Kostenlose Bücher