Berlin blutrot
das von unserem Nachbarn?“
Einen Augenblick ließ er die Frage in seinem Kopf rotieren, bevor er betont gleichgültig antwortete.
„Phosphatdünger. Nichts Besonderes. Die üblichen Nährstoffe.“
Kriminalhauptkommissar Günther Senfleben hatte nicht einen Gedanken daran verschwendet, dem Wunsch seiner Frau zu entsprechen und dem Labor das Substrat zur Untersuchung zu übergeben. Dass aus einer sechzig Kilogramm schweren Leiche, die man in Stickstoff einfriert, dann gefriertrocknet und anschließend zerrüttelt noch zwanzig Kilogramm übrig bleiben, hatte ihm Müller erklärt. Anfänglich sei er darüber noch sehr erstaunt gewesen. Aber das Verfahren ist inzwischen ausgereift und habe sich bewährt. Wessen Überreste Senfleben allerdings in seinem Schreibtisch im Polizeipräsidiums aufbewahrte, würde für immer ein Geheimnis bleiben.
Seit jener Nacht, waren sich Arne und Günther einig. Künftig würde man einander helfen. Auf eine gute Nachbarschaft!
Ein zufriedener Mann
Zoë Beck
Joachim Hartmann war ein zufriedener Mann. Er hatte es in dem Beruf, von dem er schon als Student geträumt hatte, recht weit gebracht, und er war seit kurzem mit einer Frau verheiratet, die ihm aufrichtig zugetan war. Corinna, seine Frau, hatte eine beträchtliche Summe geerbt, und von dem Geld kauften sie sich einen der eingeschossigen pastellfarbenen Bungalows, die 1956 für US-Offiziere am zur Nazizeit angelegten Dreipfuhlpark gebaut worden waren. Passend zur amerikanischen Vorstadtidylle zwischen den Dahlemer Villen stellten sie sich einen Porsche Cayenne für sie und einen Mercedes SLK für ihn in die Auffahrt und beschlossen, nicht mehr einfach nur zufrieden, sondern glücklich zu sein.
Das heißt, Corinna beschloss es für sie beide. Sie war nicht mehr ganz jung mit ihren sechsundvierzig Jahren, und Joachim wusste, dass ihre bisherigen Beziehungen durchweg traumatisch verlaufen waren. Er wusste auch, dass sie alle ihre Hoffnungen auf ihn setzte. Kurz nach ihrem Kennenlernen hatte er ihr einmal gesagt, dass er nicht mehr vorhatte zu heiraten. Diese Erfahrung einmal im Leben gemacht zu haben, reichte ihm vollkommen. Sie hatte damals genickt und gesagt, sie verstehe ihn. Doch zwei Jahre später hatte er sich auf dem Standesamt wiedergefunden, und im Grunde war es ihm dann auch schon wieder gleichgültig gewesen. Wer einmal geheiratet hatte, der konnte es auch ruhig ein zweites Mal tun.
Außerdem sprach viel für ihre Ehe. Sie hatten zum Beispiel ähnliche Interessen: Er arbeitete für das Feuilleton einer großen Tageszeitung als Bühnenkritiker, sie war die Staatssekretärin für kulturelle Angelegenheiten in der Hauptstadt. So hatte man privat wie auch beruflich immer genügend Themen und Berührungspunkte. Letztens erst hatte man ihm einen nicht unwichtigen Kulturpreis verliehen, und natürlich war dank Corinna die halbe Politprominenz Berlins zu der Feier gekommen. Corinna war außerdem zu alt, um noch Kinder zu wollen, was bei einer jüngeren Frau vielleicht ein Problem gewesen wäre. Außerdem schätzte er ihre ruhige, kluge Art. Und da beide über solide finanzielle Mittel verfügten, konnten sie eine entspannte, gleichberechtigte Partnerschaft führen. Corinna war also glücklich. Joachim war zufrieden. Bis er das Mädchen aus dem Renoir- Gemälde leibhaftig vor sich sah.
Er traf sich an diesem Tag mit seinem Freund Robert, einem Choreographen vom Berliner Staatsballett. Joachim setzte sich gerne in die Proben. Nicht, wenn die Tänzer noch auf der Probebühne arbeiteten. Dort war kein Platz für ihn. Aber sobald sie auf der großen Bühne waren, saß er gerne im dunklen Zuschauerraum und sah einfach nur zu. Bewunderte die durchtrainierten, biegsamen Körper, die definierten Muskeln, die kein Gramm Fett zuließen, die anmutigen Bewegungen, durch die die Körper zu Maschinen wurden, denen alles möglich schien. Joachim dachte dann nicht an die Menschen, die er dort sah. Nur an die Figuren, die sie tanzten, die Musik, der sie Gestalt gaben. Das wurde heute anders, denn er sah das Mädchen, und sie sah genauso aus, wie er sie seit fünfundzwanzig Jahren vor sich gesehen hatte: rotblondes Haar, große blaue Augen und diese stille Sehnsucht im Blick. Er sah sie beim battement tendu, und zum ersten Mal wurde eine der Figuren auf der Bühne zu einem echten Menschen. Das Renoir-Gemälde war aus dem Rahmen getreten und tanzte für ihn.
Seit seiner Studienzeit hatte der Druck von Renoirs „Danseuse“ in keiner seiner
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