Berlin blutrot
aber dagegen, um nicht noch den letzten Vorteil zu verspielen.
Vielleicht hatte Müller eine zweite Waffe, und angesichts der Tatsache, dass er ihm auf die Schliche gekommen war, würde er sie auch einsetzen. Senfleben war ohne seine Dienstwaffe in die Wohnung eingebrochen. Ein unverzeihlicher Fehler. Mit dem Fenster im Rücken war er ein leicht zu treffendes Ziel. Blitzschnell nahm er die Waffe aus der Reisetasche, entsicherte sie und zielte im Dunkeln auf den Schatten, der im Türrahmen zu hocken schien und jeden Moment schießen konnte. Ein Ton wie ein trockener Husten begleitete den Blitz, der für einen kurzen Augenblick dem Raum Konturen gab. Es war nur ein Schuss, den Senfleben abgegeben hatte, aber die plötzliche Stille verriet, dass er getroffen hatte.
Wie in amerikanischen Filmen näherte er sich, in einer Hand die Pistole, parallel dazu die Taschenlampe, jener Person die bewegungslos in ihrer Position verharrte.
„Polizei! Keine Bewegung!“
Die starren Augen, die in einem blassen Gesicht von langen blonden, wirren Haaren halb verdeckt waren und Kriminalhauptkommissar Günther Senfleben anstarrten, hatte er vorher noch nie gesehen. Es waren die Augen einer Frau. Schlagartig war ihm klar, um wen es sich handelte. Es waren die Augen von Sophie Müller. An den Händen und den Füßen war sie mit Klebeband an einem Stuhl fixiert. Auch der Mund war mit jenem Klebeband verschlossen, das er kurz vorher in der Reisetasche gefunden hatte. Sie musste ihn gehört haben und bei ihrem Versuch, auf sich aufmerksam zu machen, hatte er sie aus Angst erschossen.
Als die Wohnungstür aufgeschlossen und das Licht angeschaltet wurde, wunderte sich Senfleben nicht einmal darüber. Arne Müller schaute ihn ungläubig an und betrachtete dann die Leiche seiner Frau. Es dauerte eine Weile, bis er die Situation begriff und analysiert hatte. Dann begann er zu lachen. Es dauerte eine Weile bis er sich beruhigt hatte. Mit dem Handrücken wischte er über seine feuchten Augen und atmete dann tief durch.
„Sieht aus, als hätten Sie mir einen Gefallen getan“, resümierte er und nahm Senfleben die Pistole aus der Hand und sicherte sie.
„Es wäre zwar einfacher gewesen, wenn sie eine Folie untergelegt hätten, aber ein neuer Teppich war sowieso fällig. Mit der Lebensversicherung meiner Frau ist das ja jetzt kein Problem mehr.“
Senfleben betrachtete Arne Müller vielleicht zum ersten Mal genau. Er machte einen völlig ruhigen und ausgeglichenen Eindruck. Äußerlich ein netter Kerl, unauffällig, der liebe Nachbar von nebenan. Der Gedanke, dass das vielleicht mit der Pflege der Pflanzen zu tun hat, ließ ihn einen Moment an der eigenen Zurechnungsfähigkeit zweifeln.
Müller wartete, bis Senfleben den Blick von ihm abwendete und in der Lage war, wieder zuzuhören.
„Es gibt zwei Möglichkeiten für Sie, Herr Kommissar. Sie gestehen das Verbrechen, wandern ins Gefängnis und ihre Karriere im gehobenen Polizeidienst ist für immer vorbei“, formulierte er ohne jede Beschönigung. „Abgesehen von ein paar unangenehmen Fragen, werde ich wohl mit einem blauen Auge davon kommen. Ihre Entscheidung!“
Senfleben nickte. Er war Realist genug, um sich keinerlei Illusionen zu machen. Er hatte die Frau getötet, nicht Müller. Alles, was er in den letzten Wochen getan hatte, konnte gegen ihn verwendet werden. Nachdem Senfleben seine Fassung wiedergefunden hatte, räusperte er sich und fragte mit fester Stimme: „Und die zweite Möglichkeit?“
Die Sonne versank langsam im rotglühenden Mittelmeer. Segelboote zogen gemächlich übers Wasser. Eine leichte Brise kräuselte die Wellen. Claudia musterte zufrieden und glücklich zuerst das Meer und dann ihren Mann.
„Ich muss dich nachher eincremen, sonst siehst du morgen aus wie ein Krebs.“
Senfleben lächelte bitter und beobachtete die weißen Fingerabdrücke auf seiner Haut, die sich nach einem kurzen Moment wieder in das sonnengefärbte Rot wandelten. Die Garantie für eine schlaflosen Nacht.
„Ich glaube, dass mit der Sonne ist keine gute Idee“, gab Claudia zu bedenken und ergänzte: „Du brauchst unbedingt ein paar neue Hemden.“
Die „Beach Dreams“ mit den albernen Schirmchen kosteten ein Vermögen, aber jetzt verlangte es ihn danach. Bevor er aufstehen konnte, um sich an der Bar etwas Exotisches mischen zu lassen, fragte Claudia völlig unvermittelt: „Was genau war eigentlich in dem Glas drin, das ich dir vor unserem Urlaub gegeben habe? Du weißt schon,
Weitere Kostenlose Bücher