Berlin Gothic 7: Gottmaschine (Thriller) (German Edition)
jetzt, begreifst du?“, hört Till Felix‘ Stimme aus dem Chaos auftauchen, „und ich kann dir sagen: Bentheims Bücher sind einfach großartig für diesen Zweck.“
Wo fahren sie hin - die Menschen auf dem Lastwagen?
„Weiß du, warum ich die Ratten auf dich gehetzt habe, Till?“
Sie stehen noch immer vor dem Lokal. Die Sirene ist endlich verstummt. Die Frau hat den Platz vor dem Hauseingang verlassen.
„Ich will wieder, dass du für mich arbeitest. Diesmal aber nicht im Büro - diesmal sollst du für mich schreiben . Deshalb habe ich dich in den Rattenkeller gebracht. Ich weiß, dass man erst dann wirklich mitreißend erzählen kann, wenn man bestimmte Erfahrungen am eigenen Leib gemacht hat. Erst dann kann man seine Leser wirklich süchtig machen nach dem, was man ihnen erzählt. Und genau das ist es, was ich von dir brauche, Till. Du sollst die Leute für mich süchtig machen. Süchtig nach dem fiktiven Universum!“
Jetzt sieht Till ihn doch an. Das fiktive Universum. Wie oft hat er mit Max und Felix darüber gesprochen, als er das letzte Mal in Berlin gewesen ist.
„Siehst du die Limousine dort stehen?“ Felix nickt zu einem schwarzen Wagen, der in zweiter Reihe schräg gegenüber von dem Lokal gehalten hat. „Der Wagen wartet darauf, uns zu einem Haus von mir in den Süden der Stadt zu bringen. Ich habe dort alles vorbereitet, Till, ich habe ein Zimmer für dich eingerichtet. Dir wird es an nichts fehlen.“
Till sieht sich und Max ins Wohnzimmer von Max‘ Eltern schleichen und am Bücherregal hinaufklettern. Die ganze Nacht lang haben sie in den Bänden von Max‘ Vater gelesen und sich den Kopf darüber zerbrochen, woran Bentheim in seinem Gartenhaus ständig arbeitet. Worum es ihm in seinen Büchern wirklich geht.
„Ein erster, wichtiger Teil des fiktiven Universums steht kurz davor, vollendet zu werden“, hört Till Felix fortfahren. „Ich will, dass du das für mich machst: Diesen Teil vollenden, Till. Du bist dem alten Bentheim noch begegnet, hast Lisa vielleicht besser kennengelernt als jeder andere - und warst unzertrennlich mit Max. Ich will, dass du diesen Kern des fiktiven Universums für mich fertig schreibst, Till, dass du den Schlussstein setzt. Den Schlussstein von Berlin Gothic .“
BERLIN GOTHIC 7
Vierter Teil
1
Heute
„Wenn es keinen freien Willen gibt - und ich meine das vollkommen ernst, Till, verstehst du? Wenn es keinen freien Willen gibt - was dann? Wenn es eine Illusion ist, dass wir frei entscheiden können, wenn wir aber erst jetzt entdecken, DASS es eine Illusion ist - jetzt so weit sind, das ernst zu nehmen? Wenn wir HEUTE den Tag erreicht haben, an dem wir diese Entdeckung nicht länger ignorieren können, Till? Wenn wir nicht so weitermachen wollen wie bisher, weil wir ahnen, spüren, WISSEN, dass es so nicht weiter gehen kann, und wir auf die neue Erkenntnis REAGIEREN müssen. WIE WOLLEN WIR DANN IN ZUKUNFT HANDELN?“
Die Limousine hat sie in den Süden der Stadt gebracht, zu einem Haus an einem Seeufer. Felix hat Till in ein Wohnzimmer geführt, dessen breite Fensterfront auf eine Waldlichtung hinausgeht. Eine Angestellte hat ihnen Kaffee serviert und sie haben auf bequemen Sofas vor einem erloschenen Kamin Platz genommen.
„Wenn ich für dich schreiben soll, wenn ich den Schlussstein setzen soll“, hat Till Felix gesagt, „muss ich wissen, was du mit dem fiktiven Universum vorhast.“
Und Felix hat ihm recht gegeben. „Es ist ganz einfach“, hat er mit nadelfeiner Stimme verkündet, „um zu begreifen, was ich vorhabe, musst du dir nur eine Frage stellen: Was wollen wir tun? “
Verwirrt hat Till ihn angesehen.
„Das ist die Frage, die mich umtreibt, Till“, hat Felix nachgesetzt und sich in dem Sofa aufgerichtet. „Die Frage, von der ich überzeugt bin, dass wir sie ernst nehmen müssen. So ernst, dass ich mich weigere, irgendetwas anderes in Angriff zu nehmen, bevor diese Frage nicht beantwortet ist. Wir müssen uns überlegen, was unser Ziel ist, unser Ziel als … ja - als Menschheit, Till, bevor wir noch EINEN einzigen nächsten Schritt machen! Wir müssen festlegen, woraufhin wir zugehen wollen, Till - und können erst dann den ersten Schritt machen. WORAUF aber können wir zugehen wollen, wenn es so etwas wie einen freien Willen nicht gibt? Begreifst du, wie sehr diese Frage ins Herz all dessen zielt, reicht, trifft, was uns als Menschen ausmacht?“
Till schlägt die Beine übereinander und atmet aus.
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