Berlin Gothic 7: Gottmaschine (Thriller) (German Edition)
Melone über das Pflaster spritzen.
„Stell dir diese Frage, Till“, hört er Felix fortfahren. „Ist das Verhältnis der Figuren in einem Buch zu dem Autor, der sie erfunden und geschrieben hat - ist ihr Verhältnis zu ihm nicht GERADE so wie das Verhältnis der Menschen zu Gott?!“
Das Verhältnis der Figuren in einem Buch zu ihrem Autor … also zu demjenigen, der sie erfunden, geschrieben, geschaffen hat - und das Verhältnis der Menschen zu Gott, zu dem Wesen, das ALLES … also auch sie erschaffen hat. Zwei Verhältnisse, zwei Beziehungen, die sich … ja … natürlich … die sich ähneln … denn in beiden Fällen ist es das Verhältnis einer geschaffenen Kreatur zu demjenigen, der sie erschaffen hat.
„Siehst du die Ähnlichkeit der beiden Verhältnisse?“
„Ja, schon ….“
„Genau! Wenn wir aber keinen freien Willen haben, Till, wenn wir nur Teil der Schöpfung Gottes sind - was für ein höheres, größeres, schöneres Ziel kann es für uns dann geben, Till, als diesem Gott zu BEGEGNEN?“
Gott begegnen. Die Worte rauschen in Tills Bewusstsein, als wäre ein Damm gebrochen. Er fühlt etwas, wenn er sie hört - aber er sieht nichts vor sich.
„Begreifst du? Gott begegnen? Etwas, das es vielleicht noch nie gegeben hat. Aber warum soll das nicht möglich sein? Nur weil es BISHER nicht passiert ist? Es gibt ganz VIEL, was es früher nicht gab, aber heute! WOHER WISSEN WIR DENN, DASS ES NICHT EINMAL MÖGLICH SEIN SOLL, Gott zu begegnen - demjenigen Schöpfergott, der alles geschaffen hat! Wenn wir nur erst den WEG GEFUNDEN HABEN! Kannst du dir ein atemberaubenderes Ziel vorstellen?“
Nein.
„Ich auch nicht. Und ich bin absolut davon überzeugt, dass nicht nur mir das so geht, weil ich verrückt bin, sondern dass es objektiv das wichtigste, erhabenste Ziel ist, das einem Menschen jemals ERKENNBAR sein kann. Es ist das Ziel, auf das wir zusteuern müssen, Till.“
Das Ziel, auf das wir zusteuern müssen, wenn wir begriffen haben, dass der freie Wille eine Illusion ist.
„Es ist kein verrücktes Ziel, das man zwar ins Auge fassen, aber nie erreichen kann, Till! Auch wenn es dir auf den ersten Blick vielleicht so erscheint. So ein Ziel ist es NICHT!“
Wir können Gott begegnen - das ist kein verrücktes Ziel?
„Es ist ein Ziel, das man, das WIR erreichen können, wenn wir es nur richtig anstellen. DAS IST DER SPRINGENDE PUNKT. Wir können dieses Ziel erreichen!“
„Und wie?“
Felix lacht und springt auf, um mit energischen Schritten durch den Raum zu gehen - ohne jedoch mit dem Sprechen innezuhalten.
„Wie? Das ist es ja gerade, worüber ich mit dir sprechen will. Es ist das Ziel, dem ich mein Leben, meine Arbeit, meine Ressourcen gewidmet habe. Es ist das einzige Ziel, für das sich zu arbeiten lohnt, Till. Das einzige Ziel, das noch steht, wenn man sich einmal klargemacht hat, dass wir keinen freien Willen haben. Ein Ziel, das VERSCHÜTTET worden ist in einer beispiellosen Verirrung der Menschheit, als der Siegeszug einer Illusion begonnen hat, als man angefangen hat, etwas zu verherrlichen, WAS ES IN WIRKLICHKEIT GAR NICHT GIBT: Den freien Willen. In dem Moment, in dem wir begreifen, dass es den freien Willen nicht gibt, rückt dieses Ziel wieder in den Blick. Das Ziel, Gott zu begegnen.“
Tills Kopf ist von einem Rauschen erfüllt. Er kann Felix kaum noch folgen.
„Aber wie denn?“, bricht es aus Till hervor, „wie sollen wir ihm denn begegnen?!“ - und im Grunde seines Herzens zweifelt er nicht daran, dass Felix sich selbst in einem Irrtum verstrickt haben muss.
Felix aber wirkt, als würde ihm die Begeisterung, in die er sich durch seine Worte hineingesteigert hat, geradezu Flügel verleihen. „Es gelingt in zwei Schritten, Till. Der erste besteht darin zu begreifen, dass wir uns täuschen, wenn wir glauben, einen freien Willen zu haben.“ Er bleibt stehen und bohrt den Blick in Tills Augen. „Es geht nicht darum, einem persönlichen Glück nachzujagen, reich zu werden, mit so vielen Frauen wie möglich zu schlafen. Das sind alles Irrwege, die sich aus dem Irrtum ergeben, wir hätten einen freien Willen. WEG DAMIT. Okay. Aber wenn WIR keinen freien Willen haben, heißt das ja nicht, dass es ÜBERHAUPT KEINEN WILLEN gibt. Es muss ja nicht so sein, dass alles SINNLOS IST! Das bringt uns zum ZWEITEN Schritt: Der zweite Schritt besteht darin, zu begreifen, dass wir Teil einer Schöpfung sind, die nur entstanden sein kann, weil der Schöpfer das wollte. Sein Willen
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