Berlin Gothic 7: Gottmaschine (Thriller) (German Edition)
„Und?“, fragt er. „Hast du eine Antwort? Auf die Frage, woraufhin wir zugehen wollen, meine ich?“
Felix mustert ihn eine Weile, überlegt offensichtlich, wie er es ausdrücken soll. „Es geht immer weiter, richtig?“, erwidert er schließlich. „Egal, was wir denken, glauben, meinen, die Welt bewegt sich, die Menschheit entwickelt sich. Städte wachsen in den Himmel, Länder versinken in den Fluten, wenn die Weltmeere sich aufbäumen, Kriege brausen über Landstriche hinweg. Es ist das GANZE, das sich weiterbewegt, das sich weiterentwickelt. Das GANZE, von dem du, ich, wir alle nur Teile sind. Das Universum, Till, die Schöpfung, das SEIN!“
Alles.
Davon hat auch Bentheim gesprochen, geht es Till durch den Kopf, als sie vor Jahren gemeinsam durch die Kanäle unter der Stadt geirrt sind.
„ALLES, Till, alles, was es gibt. Es MUSS einen Anfang davon gegeben haben. Sie nennen es den Urknall. Hast du darüber schon einmal nachgedacht?“
„Über den Urknall?“
„Hast du? Über den Urknall, mit dem alles zu existieren begonnen hat?“
„Ja.“
„Es ist der Moment der Entstehung des Universums. Wie anders als dass es für den Urknall eine URSACHE gegeben haben muss, können wir uns diesen Augenblick der Entstehung des Seins vorstellen?“ Er lässt Till einen Moment, wie um ihm die Möglichkeit zu geben, die Frage wirklich zu erfassen, und fährt dann fort. „Was aber soll die Ursache gewesen sein, wenn es doch per definitionem vorm Urknall noch nichts gab?“
Ja.
„Das Hirn verkrampft sich, wenn man so etwas zu denken versucht, oder Till?“
Ja.
„Ich kann es nur auf eine Weise begreifen, Till.“
Nur auf eine Weise.
„Alles, was es gibt“, hört er Felix sagen, „ist beim Urknall entstanden - und die Ursache des Urknalls - ist der Schöpfer. Wie auch immer wir uns einen solchen Schöpfer vorstellen wollen.“
Die Ursache des Urknalls ist der Schöpfer.
„Es reicht ja schon, wenn wir nur diese eine Eigenschaft vom Schöpfer kennen: Er ist das, was den Urknall verursacht hat. Oder?“
„Ja?“
„Das Sein ist sein Werk.“ Felix‘ Blick brennt sich in Tills Augen. „Der Schöpfer ist der Autor des Seins, Till - so wie der Autor eines Buches sein Schöpfer ist.“
Till spürt, wie sich seine Lippen einen Spalt weit öffnen.
„Der Autor eines Buches, Till, ist sein Schöpfer. Bevor der Autor beginnt, sein Buch zu schreiben, existiert es nicht. Wenn er aber damit begonnen hat, können wir die in dem Buch erzeugte Welt gleichsam betreten. Wir können die Welt, die der Autor geschaffen hat, erleben.“
Ja, ich weiß.
„Und der Autor dieser Buchwelt, die wir erleben können, hat sie erschaffen. Wenn wir uns diesen Schöpfungsprozess vor Augen führen, bekommen wir eine Möglichkeit an die Hand, mehr über den Prozess zu erfahren, bei dem das SEIN vom Schöpfer erschaffen worden sein muss. Denn der Schöpfer hat all das, was es gibt, so geschaffen, wie ein Autor all das, was wir beim Lesen eines Buchs erleben, erschaffen hat. Richtig?“
Ja.
„Und jetzt pass auf, Till, jetzt kommt der entscheidende Gedankenschritt. Der entscheidende Gedankenschritt, der uns entbirgt, was wir TUN WOLLEN, wenn wir erkannt haben, dass es einen freien Willen nicht gibt.“
Till hört das Klicken in seiner Kehle, als er schluckt.
„Kannst du mir folgen?“
„Ja.“
„Willst du den entscheidenden Gedankenschritt hören?“
„Ja.“
„Hier ist er: Ein Autor kann in seinem Buch die Figuren, die er erschaffen hat, über sich, also über den AUTOR nachdenken lassen. Und AUF GENAU DIE GLEICHE WEISE hat der Schöpfer uns die Möglichkeit gegeben, über ihn, über Gott nachzudenken.“
Till hat das Gefühl, in dem Sofa, auf dem er sitzt, zu versinken. Aber er hängt an den Worten, die Felix über die Lippen kommen, als würden sie das Letzte sein, das ihn davor bewahrt, zwischen den Kissen zu verschwinden.
„Und nicht nur das. Nicht nur kann der Buchautor seine Figuren über ihren Schöpfer nachdenken lassen - er kann sich auch SELBST ALS FIGUR ins Buch schreiben!“
Ja?
„Du begreifst es vielleicht nicht gleich auf Anhieb, Till, aber das ist es, worauf es mir ankommt. Es ist der Punkt, auf dem ich beharren werde, solange ich atme, der Punkt, an dem ich nicht locker lassen werde.“ Felix‘ Gesicht strafft sich. „Der Punkt, an dem ich dafür sorgen werde, dass die Welt aufreißt wie eine Melone, die von einem Turm auf die Straße geworfen wird.“
Till sieht das rote Fruchtfleisch der
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