Berlin Gothic: Thriller
dass es ein Ort war, mit dem sie nichts zu tun haben wollte.
„‘N Heim“, stieß Till hervor.
„Du lebst in ‘nem Heim?“, flüsterte sie, und Till war sich sicher, dass sie das tat, weil sie nicht wollte, dass jemand sie hörte.
Um nicht gleich antworten zu müssen, schob er sich den Rest des Brots in den Mund. Wenn er genau hinsah, konnte er an ihrem Hals jetzt eine Ader pochen sehen. Er war sich nicht sicher, ob die auch vorhin schon da gepocht hatte, jetzt aber tat sie es. Wahrscheinlich weil Lisa sich fragte, ob sie nicht doch lieber aufstehen und ihrer Mutter Bescheid sagen sollte. Aber sie blieb einfach nur sitzen und sah ihn an.
„Schmeißt du mich jetzt raus?“ Trotzig zog Till die Augenbrauen zusammen. Sollte sie doch. Wenn sie es tat, war es sowieso sinnlos, hier noch länger seine Zeit zu vergeuden.
„Wieso denn zurückschicken?“, fragte sie stattdessen.
„Weil ich abgehauen bin?“
Sie schluckte. „Und was hast du jetzt vor?“
„Weiß nicht.“
„Till?“ Es war die Stimme von Frau Bentheim.
Er wandte sich um und sah Lisas Mutter in die Türöffnung treten. „Der Arzt ist jetzt da. Kommst du? Dann kann er dich gleich untersuchen.“
Till blickte zu Lisa, die ihn nicht aus den Augen gelassen hatte. Aber er sagte nichts, sondern lächelte nur. Er war erst elf, aber er wusste, dass das verschmitzt aussah. Geschickt ließ er sich von seinem Hocker hinuntergleiten und lief zur Küchentür.
„Gern, Frau Bentheim. Sie hätten den Arzt wirklich nicht kommen zu lassen brauchen. Aber von mir aus … “
Er sah, dass Lisas Mutter ihm am liebsten über den Kopf gestrubbelt hätte. Aber das tat sie dann doch nicht.
4
Brrrrrriiiiiiiingggg!
Die Eieruhr schnarrte.
Max atmete aus und schlug den Deckel über die Tasten des Flügels herunter. Die letzten Minuten hatte er sowieso nur noch reglos davor gesessen. Auch diese Stunde Klavierüben war erfolgreich gemeistert! Er sprang vom Klaviersessel herunter und verließ beschwingt das Zimmer.
Als er die Eingangshalle erreicht hatte, bemerkte er, dass sich einige Leute im Wohnzimmer - das über eine breite Schiebetür mit der Eingangshalle verbunden war - versammelt hatten. Neugierig und beiläufig zugleich schlenderte er durch die Schiebetür zu den anderen und blieb mit dem Blick an einem Jungen hängen, der mit nacktem Oberkörper auf dem Sofa saß und von Dr. Trimborn gerade abgetastet wurde.
Wer war das denn?
Max schaute zu seiner Mutter, die auf einem Sessel dem Sofa gegenüber Platz genommen hatte und den Handgriffen des Arztes mit besorgtem Blick folgte.
Trimborn schien mit dem Verlauf seiner Untersuchung jedoch ganz zufrieden zu sein, denn er nickte dem Jungen aufmunternd zu. „Kannst dich wieder anziehen.“ Dann sah der Arzt zu Max’ Mutter. „Wie schnell waren Sie denn, als es passiert ist?“
„Die Straße war sehr befahren, ich bin fast Schritt gefahren.“
„Ich denke, Till hat einen Schutzengel gehabt.“ Trimborn wandte sich wieder dem Jungen zu, der dabei war, ein langärmliges T-Shirt über den Kopf zu streifen. „Aber Sie haben trotzdem gut daran getan, mich zu rufen. Man kann ja nie wissen.“
Max stutzte. Täuschte er sich, oder war das T-Shirt ziemlich dreckig?
„Sonst alle vier wohlauf?“ Trimborn warf das Stethoskop, mit dem er den Jungen abgehört hatte, in seinen altmodischen Arztkoffer, der neben ihm auf dem Tisch stand.
„Alles bestens.“ Max’ Mutter erhob sich. Ihr Blick fiel auf ihren Sohn. „Oder, Max?“
Der grinste. „Alles bestens, Doc.“
„Na gut. Dann auf Wiedersehen, Kinder“, grüßte Trimborn in die Runde und packte seinen Arztkoffer am Griff.
Max bemerkte, dass der Junge ihn aufmerksam musterte, achtete aber darauf, den Blick nicht zu erwidern, sondern schaute stattdessen zu Lisa, die weiter hinten auf einem Sessel Platz genommen hatte. Unauffällig versuchte er ihr zu signalisieren, dass er wissen wollte, wer der Junge ist. Lisa schien Max jedoch nicht weiter beachten zu wollen, denn ohne ihn eines Blickes zu würdigen, sprang sie von ihrem Sessel, ging zu der Tür, die vom Wohnzimmer aus direkt ins Freie führte - und zog sie auf.
„Soll ich dir mal unseren Garten zeigen?“ Sie schaute geradewegs zu dem Jungen, der - etwas ziellos, wie Max denken musste - in einem kleinen Nylonrucksack zu wühlen begonnen hatte, während Max‘ Mutter und Trimborn langsam aus dem Wohnzimmer heraus Richtung Haustür gingen.
Der Junge sah auf. „Ja, super gerne.“
‚Super
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