Berlin Gothic: Thriller
Till einen Blick zu und hatte den Eindruck, als wäre es ihm nicht gerade recht, eine bestimmte Rolle in einer Familienauseinandersetzung zu spielen.
„Ja, vielleicht … “ Der Blick ihres Vaters ruhte auf Max. „Wie alt bist du denn jetzt eigentlich, Max?“
„Zwölf, Papa. Das weißt du doch.“
„Zwölf, genau … “, ihr Vater tat sich aus der Schüssel auf, „ … vielleicht ist heute wirklich ein ganz guter Zeitpunkt, um nochmal darüber zu reden.“
Worüber denn? Lisa war ehrlich gespannt.
„Ich komme in die achte Klasse, Papa“, sagte Max, „das sind noch fünf Jahre bis zum Abitur, das ist viel Zeit - “
„Ich weiß, wieviel Zeit das ist, Max“, unterbrach ihn sein Vater und plötzlich klang seine Stimme ein wenig schärfer.
Lisa zog unwillkürlich den Kopf ein und sah zu Max. Dessen aufgesetztes Grinsen war ein bisschen verrutscht.
„Also“, ihr Vater war jetzt ganz auf seinen Sohn fixiert, „was ist es, das ich mit dir besprechen will?“
Stille senkte sich über den Tisch. Lisa sah zu ihrer Mutter, die seltsam erstarrt wirkte, als sei sie mit der Art, wie das Gespräch verlief, nicht gerade einverstanden.
„Max?“
„Ich … ich bin mir nicht sicher, Papa.“ Max’ Stimme krächzte.
„Es geht darum“, die Replik seines Vaters kam prompt wie ein Gummiball, den man gegen eine Wand geschleudert hat, „dass ich nicht erkennen kann - und du mir nicht sagen willst - zu was du dich hingezogen fühlst, Junge!“
Schweigen.
„Hast du verstanden?“
Nicken.
„Ich kann dich nicht hören, Max!“ Und diesmal hatte die Stimme des Vaters in das Zimmer eingeschlagen wie eine Axt.
Lisa schaute zu Max und sah, wie aus den Augen ihres Bruders die Tränen kullerten. Sein Mund zitterte und sein Gesicht war plötzlich unendlich traurig. Als wäre aus dem schmächtigen Leib des Jungen mit einem Schlag alle Hoffnung vertrieben worden.
„Ja“, stammelte er, „ja, ich habe verstanden, Papa.“
„Siehst du, das ist das Problem, Junge“, die Stimme ihres Vaters war jetzt wieder ganz weich, „dass ich nicht sehe, in welche Richtung du tendierst, ja? Dir scheint alles gleich wichtig zu sein, mal machst du das, mal dies, dann wieder nichts … “
Wieder senkte sich Stille über den Tisch.
„Deshalb habe ich mir etwas überlegt“, fuhr ihr Vater nach einer Weile fort. „Warum setzen wir uns nicht eine Frist? Bis zum Ende des Sommers, bis zum Ende der Sommerferien.“
Max sah auf. „Bis zum Ende der Ferien - was?“
„Bis zum Ende der Ferien hast du dir überlegt, was du machen möchtest, wenn du groß bist, Max.“
Max senkte den Blick wieder. „Ja, ist gut.“
Lisa bemerkte, wie ihr Vater zu Till sah. „Jetzt denkst du wahrscheinlich, bei uns geht es immer so zu“, sagte er, „aber das täuscht.“
„Warum muss er denn jetzt schon entscheiden, was er in fünf Jahren machen will?“, hörte sie Till mit leiser und doch fester Stimme fragen.
Lisa fühlte, wie sie unruhig wurde.
„Ich meine“, fuhr Till fort und seiner Stimme war anzuhören, wie aufgeregt er war, „dafür ist doch auch später noch Zeit genug.“
„Ist das so?“ Ihr Vater holte Luft. „Sicher, auf den ersten Blick … “ Er wirkte nachdenklich. „Aber sieh dir die Leute an - also die, die wirklich etwas erreichen. Im Sport, im Schach, im Ballett - wo auch immer. Jeder einzelne von ihnen hat sich früh für ein ganz bestimmtes Ziel entschieden und dann ohne noch rechts oder links zu schauen darauf zugehalten. Der eine fängt mit vier an Geige zu spielen, der andere macht mit elf seine erste Firma auf, der nächste gewinnt mit acht beim Mathe-Wettbewerb.“
Till sah ihn mit großen Augen an.
„Das findet man vielleicht blöd oder traurig - oder was auch immer. Aber es ist so.“
Max hatte den Blick nicht mehr von seinem Teller erhoben. Lisas Vater achtete jedoch nicht auf ihn, sondern hatte sich jetzt ganz zu Till gewendet. „Und wenn du es dir einmal genau überlegst, dann sind diejenigen, die für diesen Erfolg verantwortlich sind, diejenigen die dafür verantwortlich sind, dass sich diese Menschen aufgrund ihrer Spezialisierung zu solchen Höchstleistungen emporschwingen konnten - gar nicht mal so sehr die Menschen selbst, die die Leistung erbringen, sondern … “
Er ließ den Blick in der Runde kreisen.
Keiner antwortete.
„ … ihre Eltern natürlich“, vollendete er den Satz.
Lisa schluckte. Stimmte das?
„ Ihre Eltern sind diejenigen, die die Kindern fördern“, fuhr ihr
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