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Berlin liegt im Osten (German Edition)

Berlin liegt im Osten (German Edition)

Titel: Berlin liegt im Osten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nellja Veremej
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und so setzte er seine Siebensachen in Geld um, dieses in sowjetische Währung, und dann bestieg er den Überseedampfer. Nach allen diesen Manipulationen war sein australischer Besitz um zwei Drittel geschrumpft, und dennoch war Opa einer der reichsten Menschen in unserer kleinen südlichen Stadt.
    Wir wohnten nun immer noch in der gleichen Straße, aber in einem eigenen Haus, es war weiß mit einem blauen Giebeldreieck und mit blau umrahmten Fenstern. Ihre Nachbarinnen und Kameradinnen empfing die Oma in der komfortablen Küche, wo ein gebauchter, mannsgroßer Kühlschrank der Marke ZIL MOSKWA stand.
    Schon in den Sechzigern konnte sich jeder Sowjetbürger satt essen, in den Siebzigern entdeckten wir für uns neue Konsumfreuden: Man stand nun Schlange nicht für Milch, sondern für tschechische Kristallglas-Vasen und für feine Damenstrümpfe aus der DDR.
    Die Ankunft des reichen australischen Opas beschleunigte unseren Fortschritt. Die Oma verschwendete das Geld in atemberaubender Geschwindigkeit – sie liebte bunte und billige Sachen, und davon gab es immer mehr. Trotzdem warf sie Zellophantüten nicht weg, sondern wusch sie nach dem Gebrauch und hängte sie an der Wäscheleine zum Trocknen auf. Sie flatterten im Wind und raschelten wie Luftballons oder wie fröhliche Fähnchen eines Kinderfestes. Der Speiseplan blieb der gleiche, nur die Mengen änderten sich. Lebensmittel kaufte meine Großmutter nicht unter einem Kilo, Borschtsch kochte sie nun in bottichähnlichen Töpfen, ganze Pastetchenregimenter besetzten die Küchenoberflächen, über den Milchseen ballten sich Fliegenschwadronen. Der sparsame Opa raufte sich die Haare: Du Dämon im Rock!
    Der kaufsüchtige Dämon versäumte keine Gelegenheit, den Basar aufzusuchen. Dafür legte Oma ihre besten Kleider an: einen braunen Plisseerock und ein mit Goldfunken durchwirktes buntes Kopftuch. Sie zankten lange, und dennoch weigerte Opa sich, seine Frau mit seinem Moskwitsch zum Markt zu kutschieren, denn er dachte, sie würde weniger kaufen, wenn sie zu Fuß unterwegs wäre. Von wegen!
    Erbost wie eine scharfe Wespe zupfte sie ihr glattes Kopftuch zurecht und lief davon. Einige Zeit später hörten wir ein lautes Knattern – die buckelige Straße kam ein dreirädriges Moped mit einem kastenförmigen Aufbau entlanggerollt. Mit einem Fuß auf dem Trittbrett, wie auf einem Roller, stand meine Oma neben dem Fahrer, ihr anderer Fuß schwebte in der Luft, als ob sie sich gleich von der Erde abstoßen und abheben würde. Tor auf!, schrie diese triumphierende Athena. Im Kasten ihres Streitwagens rollten zwei Dutzend gestreifter Wassermelonen hin und her.
    Die Oma hantierte sehr gerne mit dem Essen, die große Küche sah aus wie das Völkerschlachtfeld am dritten Tage. In den kleinen Zimmern dagegen herrschten Ordnung und strenge Ruhe. Zwischen den leberroten Teppichbrücken, golden befransten Plüschgardinen und den dunklen Kommoden und Truhen fühlte man sich geborgen wie im Futteral einer teuren Geige.
    Oma kochte und stärkte wöchentlich die weiße Wäsche, ihr graziöses, dünnbeiniges Metallbett schmückte sie jeden Morgen lange und sorgfältig – wenn auf die Kopfkissenpyramide der schneeweiße Spitzenschleier gefallen war, sah ihr Bett wie eine Braut aus. Opas Bett in einem anderen Zimmer sah genauso keusch aus.
    Oma hatte jetzt einen eigenen Garten, einen Hühnerstall, einen Keller, eine Badewanne, einen Kühlschrank und einen Mann, den sie lieben sollte, aber das konnte sie nicht. Die beiden zankten oft, und wenn es nicht mehr weiterging, zog sich der Opa in die solide eingerichtete Garage zurück, sein Revier, wo er stundenlang durch einen kleinen, binokularen Apparat auf Dias mit australischen Ansichten starrte.
    Oma, du hast ihn doch so geliebt!, sagte ich einmal nach einer Schlacht zu ihr.
    Ja, aber den anderen, und dann den Toten, und dieser ist nicht er, sagte sie, seufzte und ging, singend, ihren Hausarbeiten nach – sie war in ihrem Wesen doch eine heitere, wenn auch etwas grobe Person.
    Einmal saß sie mit ihren Freundinnen in der Küche, bewirtete sie mit Marmeladenbroten und beschwerte sich über Opas
Unzuchtsverhalten
, der versuchte, zu ihr ins Bett zu kriechen. Hier flüsterte sie jeder Freundin einzeln etwas offensichtlich Obszönes ins Ohr und schlug lachend mit der Faust auf den Tisch: Das hat mir gerade noch gefehlt!
    Es war eine keusche Stadt. Sich öffentlich zu umarmen galt als unanständig. Die Wurstträgerin Lydia und ihr Hamlet

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