Berliner Aufklaerung - Roman
umgebracht.«
»Du – Schreiner?«
»Ich weiß auch nicht, was das soll, aber irgend jemand will gesehen haben, daß ich in der Mordnacht im Institut gewesen bin. Der Unsinn wird sich sicher bald aufklären. Kannst du dich bis dahin um Vico kümmern? «
»Meinst du nicht, ich sollte mich lieber erst mal um dich kümmern? Wo wollen dich die Idioten denn hinbringen? «
»Was weiß ich, Anja, aber es ist wirklich nicht nötig, ich komme allein zurecht. Falls du bis heute nachmittag nichts mehr von mir hörst, dann schau doch bitte mal nach Vico. Die Haferflocken für seinen Brei stehen neben dem Herd, die Milch ist im Kühlschrank, den Haustürschlüssel lasse ich bei Krauses nebenan.«
Anja stöhnte innerlich auf. Sie haßte Hunde. »Na schön, wie du willst, solltest du meine Hilfe doch noch brauchen – du weißt ja, wo du mich finden kannst.«
»Danke, Anja, ich muß jetzt Schluß machen. Bis bald.«
Das Gespräch war beendet. Nachdenklich legte auch Anja den Hörer auf. Sie wollte nicht so recht daran glauben, daß sich die Angelegenheit von selbst in Wohlgefallen auflösen würde.
In der Küche stand noch das Geschirr vom Vorabend herum, aber Anja fehlte im Augenblick der Nerv, sich darüber aufzuregen. Sie war froh, daß Ulf nicht wie gewöhnlich um diese Zeit in der Küche rumlungerte. Vielleicht tat er ja ausnahmsweise mal was Sinnvolles und war auf dem Arbeitsamt.
Anja schlug sich auf dem Tisch eine Bresche durch die dreckigen Teller und Töpfe, setzte Kaffeewasser auf und suchte die notwendigen Utensilien zur Herstellung eines Nutellabrotes zusammen. Essen konnte Anja eigentlich immer, und sie dankte ihrem Schöpfer dafür, daß er sie es ließ, ohne dick zu werden. Da sie mit ihrer Frauenüberlänge und den breiten Schultern ohnehin eher maskulin gebaut war, brauchte sie sich keine Gedanken um Wespentaille und zierliche Waden zu machen.
Rebecca war also verhaftet. Während Anja die letzten Reste aus dem Nutella-Glas zusammenkratzte, fragte sie sich, ob ihre alte Freundin nicht vielleicht doch eine geheime Medea war. Ihre Vorstellungskraft scheiterte jedoch an einer Szene, in der die ätherische Professorin mit martialischem Sägewerkzeug den nackten Kollegen zerteilt. Andererseits: was wußte sie wirklich von Rebecca? Sie kannten sich seit fast fünfzehn Jahren, hatten sich auf den ersten Blick in dem Meer des philosophischen Wahns als die einzigen Normalen erkannt und zuletzt sogar zu einer gewissen freundschaftlichen Zuverlässigkeit gefunden. Aber von Anfang an hatte zwischen ihnen ein stummer Nichtangriffspakt bestanden, die Gewißheit, sich gegenseitig nicht anzutasten.
Anja überlegte, was am besten zu tun sei. Selbstverständlich würde sie etwas unternehmen. Wenn sie sich
auch, was philosophische Beharrlichkeit anbelangte, nicht mit Rebecca messen konnte, so stand sie ihr wenigstens an sonstiger Sturheit um nichts nach. Außerdem war Anja sicher, daß mit jeder Stunde, die Rebecca länger mit den Bullen zusammen war, die Hoffnung auf eine unproblematische Abwicklung der Geschichte geringer würde. Denn die selbstbewußte, spitzzüngige Rebecca war auch ohne Mordverdacht der Typus Frau, den der polizistische Typus Mann schon immer hinter Gittern sehen wollte.
Wenn es jemanden gab, der in dieser Angelegenheit wirksam einschreiten konnte, so war es Manfred Stammheimer, Richter am Landgericht Berlin und Ehegatte einer ehemaligen Kundin. Stammheimer war Anja dankbar verbunden, denn sie hatte seine zermürbende, langjährige Ehekrise beendet, indem sie die ehemals in der Kreuzberger Autonomenszene beheimatete Angela Stammheimer mit dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit ausgesöhnt hatte.
Anja klemmte sich die Nutella-Schrippe zwischen die Zähne, krallte sich die Kaffeetasse und schritt zum Telefon. Sie hatte Glück, Stammheimers Sekretärin war ungewohnt milde gestimmt und stellte Anja ohne größere Komplikationen durch.
»Frau Abakowitz, das ist aber eine angenehme Überraschung! Was kann ich für Sie tun?«
Anja liebte es, wenn Männer funktionierten. »Meine ehemalige Philosophieprofessorin, Rebecca Lux, hat Ärger mit der Polizei. Vielleicht haben Sie davon gehört, gestern wurde am Philosophischen Institut ein Professor ermordet, und irgend jemand scheint Frau Lux als Mörderin denunziert zu haben.«
»Wissen Sie mehr über die Verhaftung?«
»Nein, aber ich lege beide Hände dafür ins Feuer, daß Frau Lux mit der Sache nichts zu tun hat. Denken Sie, daß Sie eine Aussetzung der
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