Berliner Aufklaerung - Roman
»Auf’m Kudamm haben ’n paar militante Anhänger der Bewegung ›Saubere Stadt‹ ’ne Schwuchtel zerfleischt.«
Ulf zog eine Schnute. »Ach, du willst mich nur wieder ärgern! Heutzutage macht man über so was keine Witze.«
»Okay, okay. Ich war im Philosophischen Institut. Dort haben sie einen Prof umgebracht.«
»Und …« Ulf beugte sich über den Tisch. Seine Neugier war noch nicht befriedigt.
»War so ’n durchgeknallter Nietzsche-Guru, Rudolf Schreiner. Er oder sie hat ihn zerhackt und auf die Institutspostfächer verteilt.«
Raviolifüllungen waren schon etwas Merkwürdiges.
»Ein Ridu-, Ritualmord?« Vor Spannung vergaß Ulf sogar weiterzuessen.
»Keine Ahnung.« Ulf begann, Anja zu nerven. Sie sollte ihm die BZ -Lektüre in Zukunft besser verbieten. »Satan muß ziemlich auf den Hund gekommen sein,
wenn er Schreiner haben will. War eher einer von den Institutspsychopathen.«
Ulf legte seine Stirn in Denkerfalten, ein Anblick, der Anja ein kleines Lächeln abnötigte. »Versuchst du gerade, dich in die Psyche eines Philosophenmörders einzufühlen?«
Ulf runzelte weiter die Stirn. »Wie war der Name nochmal? Irgendwie sagt der mir was.«
»Schreiner, Rudolf Schreiner. Jetzt erzähl mir bloß nicht, er wär’ Bardame in ’nem Homoschuppen.«
Ulf quiekte laut auf. »Das isses. Ich werd’ wahnsinnig. Rudi! Der weiche Rudi!«
Ausnahmsweise war es nun einmal an Anja, Ulfs Gedankengängen nicht folgen zu können. Ulf blühte unter Anjas Verwirrung sichtlich auf. »Na klar, so ’n fetter Mittfünfziger, schon ziemliche Platte, trug aber immer ’n rotes Toupet und Lederklamotten. So’n Metzgerstyp mit ’nem Zuhälterring. Erzählte immer total abgedrehtes Zeug, er wär’ der Superman und so.«
Anja ließ den Löffel sinken. »Schreiner – weicher Rudi – Kellner in ’nem Homoladen? Ich glaub’ – «
»Nich’ Kellner, aber Stammgast in ›Andreas’ Kneipe‹. Spendierte immer mal ’ne Runde.« Es sprudelte aus Ulf nur so hervor. »Und den habense ermordet? Mann o Mann, is’ das ’ne Story!« Ulf tanzte um den Tisch.
Anja schob ihren Teller weg. So unzurechnungsfähig Ulf sonst auch war, abgesehen von der Lederkluft hatte er eine treffende Beschreibung Schreiners gegeben. Die Vorstellung, wie der massige Professor in einem Darkroom schwitzte, brachte die Ravioli in Anjas Magen in Aufruhr.
Ulf hing inzwischen wieder am Telefon. In einer halben
Stunde würde die ganze Berliner Schwulenszene über das traurige Ende des weichen Rudi informiert sein.
EIGENNAMEN
Hugo Lévi-Brune litt. Er stammte aus einer jüdischen Intellektuellenfamilie, die Nazideutschland – ob seiner »immer noch hoffnungsvollsten geistigen Kapazitäten« – schon Mitte der vierziger Jahre wieder aufgesucht und als Zeichen der Versöhnung ihren jüngsten Sproß der geschlagenen Nation entgegengestreckt hatte – indem sie ihn auf den Namen Hugo taufte. Hugo unterteilte die Menschheit fortan in zwei Gruppen: diejenige, die den teutonischen Charme des Namens in aller Deutlichkeit akzentuierte, und diejenige, die seinen ihm verhaßten Namen wenigstens zum französisch prononcierten »Ügo« abmilderte, wenngleich er einen französischen Namen eigentlich genauso abstoßend fand. Alle verzweifelten Versuche, den »Hugo« gegen einen anständigen angelsächsischen Namen austauschen zu dürfen, waren an deutschen Behörden beharrlich gescheitert.
Aus Trotz gegen seinen heideggerhörigen Vater, der ihn auf dem Altar deutscher Namensgebung geopfert hatte, hatte sich Hugo früh der formalen Logik hingegeben.
Hugo Lévi-Brune war somit Leid gewöhnt, heute nacht litt er jedoch noch mehr als sonst. Neben ihm lag eine Frau, von der er nicht nur nicht genau wußte, wieso sie dort lag, sondern die er seit heute morgen auch noch im Verdacht haben mußte, in erschreckendem Maße kaltblütig, wenn nicht gar gewalttätig zu
sein. Er selbst hätte allen Grund, Schreiners Tod nicht zu beklagen, aber jetzt, wo dieser tot war, wollte er ihn nicht mehr hassen. Das Verhalten, das Petra Uhse heute im Institut gezeigt hatte, fand Hugo dagegen empörend.
Aber im Kopierraum war es schon immer zu den unerfreulichsten Szenen zwischen Petra und Schreiner gekommen. Gerade letzte Woche waren die beiden dort wieder einmal ganz entsetzlich aneinandergeraten. Schreiner hatte wohl zu Petra gesagt, sie solle nicht so lange den Kopierer blockieren, die Kopien, die sie da machte, seien ja sowieso Papierverschwendung. Petra mußte daraufhin jede
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