Berliner Aufklaerung - Roman
keine Frau.
Rebecca dachte an Vico. Sie wußte zwar, sie konnte sich auf Anja verlassen – wenn diese versprach, sich um Vico zu kümmern, dann tat sie das auch. Aber Rebecca vermutete, daß ihr gebrechlicher Hund an der Schwelle zum Jenseits von Anjas dynamischer Lebendigkeit überfordert wurde. Sie selbst war bisweilen irritiert von den anstrengenden Kraftschüben dieser Frau.
Auch abgesehen von ihren Sorgen um Vico wollte Rebecca schleunigst wieder nach Hause und an ihren Schreibtisch. Aber anscheinend war es aussichtslos, diesem unappetitlich schwitzenden Herrn hier klarzumachen,
daß sie von Aristoteles dringender gebraucht wurde als von irgendwelchen planlosen Berliner Kriminalbeamten. Sie fragte sich, ob es nur ihr so vorkam, daß sich das Gelb der Wände in der letzten Stunde intensiviert hatte, das Heizungsklopfen lauter, die Neonröhren heller geworden waren. »Könnten wir eventuell ein wenig lüften? Ich finde, es riecht unangenehm. «
Heinz Glombitza schreckte aus seinen Gedanken. Er hatte gerade vom Feierabend geträumt, vom Abendessen mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern. »Was sagen Sie?«
»Ich sagte: Es riecht. Ob wir vielleicht kurz lüften könnten?«
Der Kriminalhauptkommissar knirschte stumm mit den Zähnen und öffnete ein Fenster. »Ist Ihnen in Ihrer Angelegenheit etwas Neues eingefallen, das Sie mir mitteilen wollen?«
»Ich kann gern noch zehnmal wiederholen, was ich bereits gesagt habe. Aber vielleicht verraten Sie mir ja statt dessen, von wem Sie den schwachsinnigen Tip bekommen haben, sich an mich zu wenden?«
Heinz Glombitza warf einen schmerzvollen Blick auf das Familienfoto. Er fühlte sich müde, gleichzeitig wuchs in ihm der Haß auf diese überlegentuende Person vor ihm. »Für wen halten Sie sich eigentlich? Wenn Sie glauben, daß Sie sich hier alles erlauben können, nur weil Sie einen Doktortitel haben, so irren Sie sich gewaltig. Ich weiß, daß in Ihren Augen unsereiner doch nur der letzte Trottel ist, aber ich warne Sie! Ich werde Sie von Ihrem hohen Roß schon noch runterholen! «
Rebecca zuckte überrascht zusammen. So viel Temperament
hätte sie diesem Menschen gar nicht zugetraut, aber vermutlich hatte Anja recht: Das wahre Gesicht eines Mannes enthüllte sich erst in Situationen gesteigerter Hilflosigkeit. »Ich dachte, das wäre ein fairer Vorschlag. Sie erzählen mir etwas, dann erzähle ich Ihnen etwas.«
»Sie haben mir keine Vorschläge zu machen, Frau Professor!« Die Stimme des Kriminalhauptkommissars bebte. »Ich lasse Sie in Gewahrsam nehmen, und dort werden Sie so lange bleiben, bis Sie sich überlegt haben, ob es immer noch unter Ihrem Niveau ist, mit mir zu reden.«
DAS KAPITAL
Hektor gehörte nicht nur – wie es der Katalog versprochen hatte – zur seltenen Spezies »intelligenzbegabtes Auto«, er war mehr als das – er war ein Gentleman, ein Freund. Anjas anfängliche Skrupel, Hektors Konto für Rebeccas Kaution anzugreifen, verflogen rasch, da sie sich Hektors Zustimmung gewiß fühlen durfte, auch ohne ihn gefragt zu haben.
Wie erwartet hatte Stammheimer am frühen Nachmittag eine Haftaussetzung ab Eingang der Kaution erwirkt. Nach einem Besuch bei der Bank, bei der Hektors Konto geführt wurde, hatte sich Anja mit fünfhundert ordentlich gebündelten Hundertmarkscheinen zunächst auf den Weg ins Landgericht gemacht, wo Stammheimer sie und das Geld erwartete. Gegen das Versprechen, am Freitag abend mit ihm ins »Bovril« essen zu gehen, hatte Anja alles weitere dem Richter überlassen – sie war froh, wenn sie mit deutschen Justizbehörden nichts zu tun haben mußte.
Nun, wo die finanzielle Seite der Angelegenheit erledigt war, befand sich Anja auf dem Weg zur Polizei, wo Rebecca inzwischen hoffentlich abholbereit war. Anja hatte sich längere Zeit über die offizielle Bezeichnung des Polizeireferats »Delikte am Menschen« amüsiert, sie fragte sich, ob die auch nur die leiseste Ahnung hatten, wofür sie – gemäß ihres anspruchsvollen Titels – in dieser Stadt alles zuständig wären. Im Grunde war ganz Berlin ein einziges Delikt am Menschen.
In der Keithstraße war naturgemäß kein Parkplatz zu finden. Da Anja sich heute nicht auch noch um solche Bagatellen wie illegales Parken kümmern konnte und sie ohnehin nicht vorhatte, sich länger hier aufzuhalten, stellte sie Hektor vor einer Einfahrt ab, die offensichtlich zum Kripogebäude gehörte. Hier war die Wahrscheinlichkeit, daß Hektor jemanden bei der Ausübung
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