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Berliner Aufklaerung - Roman

Berliner Aufklaerung - Roman

Titel: Berliner Aufklaerung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Gehaltvolles, das vor dem Hintergrund einer allgemeinen Konzeption – «
    »Quatsch, Mann, die hat mit ihrem Antike-Tugend-Blödsinn doch überhaupt nicht mehr geblickt, wo’s lang geht. Sozialismus war für die doch immer ’n Fremdwort.«
    »Da unterschlägst du aber, daß vieles, was bei Marx steht, seine Wurzeln in Aristoteles hat und ohne Aristoteles auch für Marx gar nicht denkbar gewesen wäre.
Die Idee von einem objektiven Wissen um das menschlich Gute, von dem aus die Kritik – «
    »Kritik, ja? Was heißt denn schon Kritik, Mann. Kritik allein is’ für’n Arsch. Protest is’ angesagt, Widerstand mußt du leisten. Aber das kapieren die Philosophen hier natürlich nicht.«
    »Bevor ich gegen etwas Widerstand leiste, muß ich doch erst einmal genau analysiert haben, wie die Problemstruktur aussieht, muß ich die Probleme von verschiedenen Seiten aus beleuchtet haben. Das ist meiner Meinung nach die Aufgabe der Philosophie. Man kann doch die elfte Feuerbachthese auch positiv wenden – «
    »Ja, genau da liegt das Problem, das sind diese ganzen Reformisten, die zu dieser pseudotoleranten, liberalen Scheiße übergelaufen sind, und dabei gar nicht mehr merken, wie sie im System verrecken. Nimm den letzten Unistreik oder Olmypia, nur so als Beispiel, da war das doch alles genauso. Diese ganzen Typen, die was von ›Arbeitsplätzen‹ und ›Sparen-müssen‹ und ›positiven Aspekten‹ und so gefaselt haben. Mit ihrer andauernden Reformscheiße sind das die eigentlichen Feinde der Revolution.«
    Anja gab den beiden noch exakt drei Minuten, länger würde sie das nicht mehr aushalten.
    »Aber wie bestimmt und organisiert man denn das Potential für eine Revolution? Du glaubst doch nicht immer noch an die Kraft einer proletarischen Welterhebung? Das haben doch schon der späte Horkheimer und Adorno gezeigt, daß von der Arbeiterklasse nichts mehr zu erwarten – «
    »Mann, Horkheimer und Adorno, genau so Typen mein’ ich. Die haben achtundsechzig die Idee ja auch
als erste verraten. Die Antwort darauf, daß die Arbeiterklasse von den anhaltenden kapitalistischen Verhältnissen kaputt gemacht ist, kann doch nicht ›Bourgeoisie‹ heißen, sondern nur ›Subproletariat‹. Ganz unten mußt du die Leute suchen!«
    »Aber Marcuse – «
    Es reichte. Noch ein Wort mehr, und Anja würde ihrerseits in den bewaffneten Widerstand gehen. »Würde es euch beiden was ausmachen, die Weltrevolution vielleicht ein andermal weiterzuplanen? Es gibt Leute, die sind schon damit zufrieden, wenn sie hier und jetzt ungestört auf einem Stuhl sitzen können.«
    Der Gescheitelte und der Pferdeschwanz blickten sie irritiert an. »Mann, wir sind hier in ’nem Philosophischen Institut, da wird man doch wohl noch diskutieren dürfen.«
    »Von mir aus könnt ihr diskutieren bis zum Jüngsten Gericht oder meinetwegen auch bis zur Weltrevolution, aber verschont, bitte, mich bis dahin.«
    Der Pferdeschwanz musterte Anja abfällig. »Was macht ’n so ’ne Luxustussi wie du hier überhaupt im Institut?«
    »Promotionen schreiben.«
    »Bestimmt auch über irgendso’ne Liberalismuskakke. «
    Anja rückte ihre Brille zurecht. »Nicht ganz. Es geht um Rache als Notwehr in der Zeit.«
    Der Gescheitelte wirkte interessiert. Völlig absurd schien das Thema, das sich Anja letzte Nacht zusammengereimt hatte, in Philosophen-Ohren nicht zu klingen. »Wollt ihr beide eigentlich auch zu Wogner in die Sprechstunde?«
    »Nö, was soll ich denn bei dem Musikspinner? Auch
so einer, bei dem die fortschreitende Entpolitisierung – «
    »Na, dann hab ich einen wunderbaren Vorschlag: Ihr könnt jetzt sofort über die Weltrevolution weiterdiskutieren – und zwar woanders.«
    Der Pferdeschwanz schlug sich auf den speckigen Schenkel seiner Jeans. »Das is’ doch mal wieder typisch: erst so liberal daherkommen, und dann einem vorschreiben wollen, wo man hingehen soll.«
    Anja klappte ihre Handtasche zu. »Ich bin nicht liberal. «
    »Joschi, komm, wir können doch wirklich genausogut woanders weiterdiskutieren, wenn die Dame hier auf die Sprechstunde wartet und arbeiten möchte.«
    Joschi revoltierte pro forma noch ein wenig, verschwand aber dann mit dem Gescheitelten die Treppe hinunter.
    Im Vergleich zu diesen Typen wurde Anja sogar Ulf wieder sympathisch, wenngleich sie ihn heute morgen liebend gern umgebracht hätte. Um sieben Uhr war sie von merkwürdigen Geräuschen aus der Küche geweckt worden. Nachdem die Geräusche nicht aufgehört hatten, war

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