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Berliner Aufklaerung - Roman

Berliner Aufklaerung - Roman

Titel: Berliner Aufklaerung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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er sich getraut. Es war gleich an seinem dritten Abend in dieser Stadt gewesen, im Darkroom von »Toms Bar«. Ein pickliger, älterer Typ, der ihn vorher in »Andreas’ Kneipe« angemacht hatte, hatte ihn später dorthin mitgenommen. Es war alles ziemlich überraschend gekommen, und so genau wußte Ulf gar nicht, ob es dann letztlich der Typ aus »Andreas’ Kneipe« gewesen war oder ein anderer. Sein Arsch hatte ihm tagelang wehgetan, aber er war stolz gewesen. Später hatte es angefangen, ihm auch Spaß zu machen.
    »Ein großer Schwimmer vor dem Herrn scheinst du ja nicht zu sein.« Der hübsche Typ war neben Ulf am Beckenrand aufgetaucht.
    »Ach, weißt du, mir is’ heut’ nich’ so danach.«
    Der feuchte Traum grinste. »Ist dir vielleicht nach was anderem?«
    Ulf gab sich alle Mühe, diesmal nicht rot zu werden. »Ja, ähm, wenn du, vielleicht – «
    Wie ein Delphin schoß der Athletische aus dem
Wasser, stand am Beckenrand elegant auf und streckte Ulf seine rechte Hand am muskulösen Unterarm entgegen. »Ich kenn’ hier eine schöne, ruhige Umkleidekabine, wo uns keiner stören wird.«

DIE GEBURT DER TRAGÖDIE
    Anja war vom Wannsee aus in ihre Praxis nach Halensee gefahren. Ulf zu Hause hätte sie jetzt nicht ertragen. Für gewöhnlich war er zwar Mittwoch abend im Tuntenaquarium, aber so genau konnte man das nie wissen. Außerdem wußte sie nicht, ob das Telefon bei ihr mittlerweile wieder benutzbar war.
    Anja spürte jetzt erst, wie hungrig sie war. Schließlich hatte sie den ganzen Tag lang noch nichts Vernünftiges in den Magen bekommen. In dem Metallschrank neben der Herdplatte, auf der Anja das Tee-und Kaffeewasser für ihre Kunden aufsetzte, standen immer einige Dosen Ravioli. Vicos Winseln erinnerte sie daran, daß der Hund heute vermutlich auch noch nichts gegessen hatte.
    Die Fahrt mit Hektor war erstaunlich unproblematisch verlaufen, Anja hatte Vico angedroht, daß er in den Kofferraum käme, falls er es wagte, auf die Ledersitze zu springen. Daraufhin hatte sich Vico brav auf die Fußmatte des Beifahrersitzes gequetscht, wo er dann auch die ganze Fahrt über reglos liegengeblieben war, ohne einen Laut von sich zu geben.
    Anja öffnete für Vico eine zweite Dose und stellte sie vor ihn hin. »Da, friß. Was anderes gibt’s heut’ nicht. Du brauchst dir gar nicht erst einzubilden, daß ich fünfmal am Tag Haferbrei für dich koche.«
    Vico beschnüffelte mißtrauisch den rötlichweißen Doseninhalt, dann stieß er vorsichtig seine Schnauze
in die weichen Teigtaschen und begann mit einem leisen Seufzer zu fressen.
    Anjas Ravioli hatten auf dem Herd mittlerweile angefangen zu köcheln, sie rührte ein paar Mal um, bevor sie den Topf von der Platte nahm und sich mit ihm an den Schreibtisch setzte. Aus einer Wohnung gegenüber flackerte das unruhige blaue Licht eines Fernsehers.
    Ohne es zu merken, aß Anja den Raviolitopf leer. Eigentlich war sie immer noch hungrig, aber jetzt mußte sie erst einmal mit Stammheimer reden. Sie wählte seine Privatnummer, denn um kurz nach sieben würde sie ihn sicher nicht mehr im Gericht erreichen. Nach kurzem Läuten meldete sich Angela Stammheimer, Anjas ehemalige Kundin. »Ach, Anja, das ist aber ’ne Überraschung. Du willst sicher Manfred sprechen?«
    Angela Stammheimer war die einzige Kundin, mit der sich Anja geduzt hatte. Die ehemalige Autonomenbraut zu siezen, hatte sich in den heftigen ideologischen Kämpfen, die sie in der Praxis ausgefochten hatten, als überflüssig erwiesen.
    »Manfred ist heute morgen nach Westdeutschland geflogen, ich glaube, er ist erst am Freitag zurück. Aber er hat mir erzählt, daß ihr Freitag abend sowieso zum Essen verabredet seid.«
    Anja legte auf, nachdem sie aus ihrer ehemaligen Kundin nur noch herausgebracht hatte, daß Stammheimer irgendwo dienstlich in Stuttgart und Frankfurt war, wo genau konnte sie ihr auch nicht sagen.
    Vico hatte inzwischen seine Mahlzeit ebenfalls beendet. Offensichtlich hatte es ihm geschmeckt, denn während er sich Schnauze und Pfoten leckte, sah er beinahe ein wenig glücklicher aus als vorhin. Eine Ravioli
hatte sich in den zotteligen, angegrauten Haaren über seinem rechten Ohr verfangen.
    Anja stand vom Schreibtisch auf und trat ans Fenster. Der Fernseher gegenüber flimmerte immer noch. Soweit sie es erkennen konnte, handelte es sich um einen Western.
    Vico war von der Aufregung der letzten beiden Tage erschöpft eingeschlafen und schnarchte. Zu Hause würde dieser Hund nicht in ihrem

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