Berliner Aufklaerung - Roman
sie nach gegenüber gegangen und mußte dort Ulf mit einem anderen Homo in der Badewanne entdekken. Ulf hatte versucht, sich damit zu entschuldigen, daß Peer – sein Badepartner – PR-Chef bei Schering war und deshalb so früh aus dem Haus müßte. Obwohl Anja die beiden am liebsten augenblicklich aus der Wohnung geschmissen hätte, und obwohl sie ja generell nicht auf Kerls stand, mußte sie zugeben, daß Ulf ausnahmsweise mal einen wirklichen Fang gemacht hatte. Im Vergleich zu den Kreaturen, die er sonst anschleppte, war dieser hier ein wahrer Adonis. Außerdem
schien er einen positiven Einfluß auf Ulf zu haben, denn dieser hatte gleich nach seinem neuen Lover um acht die Wohnung verlassen. Wahrscheinlich war es aber doch nur die Angst vor Anjas anstehendem Tobsuchtsanfall gewesen, die ihn so früh aus dem Haus getrieben hatte.
Frau Schneidewein öffnete ihre Tür, um Anja mitzuteilen, daß der Herr Professor prinzipiell bereit sei, sie zu empfangen. Es war Viertel nach zwölf.
FÜR-SICH-SEIN
Das Zimmer Professor Wogners lag unter undurchdringlichem Pfeifenqualm. Luft war als solche nicht mehr auszumachen. An den Wänden reihten sich die obligaten Regale im Unieinheitsdesign, aus denen Bücher, Noten und alte Zeitungen auf den Fußboden quollen. Neben der Tür hing ein vergilbtes Konzertplakat »Luigi Nono: Fragmente – Stille«.
Professor Hinrich Wogner selbst saß klein und verloren am hinteren Ende des Raumes. Kurz blickten seine dunklen Vogelaugen hinter den verrutschten Brillengläsern in Richtung Anja, dann glitten sie wieder über die Klaviertastatur ins Ferne. Wogner war alt geworden – ein zusammengesunkenes, zerzaustes Küken mit ergrautem Flaum.
»Wie immer auch dringlich Ihnen Ihr Anliegen erscheinen mag, so muß ich Sie dennoch darauf hinweisen, daß Sie einen Mann, der nicht mehr der Jüngste sich nennen darf, wertvoller, da vielleicht letzter Momente der Inspiration berauben.«
Anja machte einige Schritte auf Wogner zu. »Entschuldigen Sie, aber ich dachte, Sie hätten jetzt Sprechstunde. Ich wußte selbstverständlich nicht, daß ich Sie beim Arbeiten stören würde.«
»Verehrteste«, Wogners Augen tauchten langsam wieder aus den Tiefen des Klaviers in Richtung seiner Gesprächspartnerin auf, »in der Einrichtung der sogenannten ›Sprechstunde‹ ist durchaus nichts anderes zu
sehen als eine der letzten Verfallsformen akademischen Lebens. Am Ende ihrer Geschichte schlägt die universitäre Praxis um in den Kultus des Audienzhaltens. «
Anja stand in der Mitte des Zimmers, und Wogner machte keinerlei Anstalten, sie zum Setzen aufzufordern. »Ich weiß nicht, ob Ihre Sekretärin Ihnen bereits mitgeteilt hat, worum es geht. Ich suche einen neuen Doktorvater, nachdem Professor Schreiner ermordet wurde.«
Ein kleiner Ruck ging durch den schwachen Körper Hinrich Wogners. »Wie? Sie arbeiteten bei diesem Herrenmensch-Ideologen? « Wogner stand mit überraschender Heftigkeit auf. Sein altmodischer, schwarzer Anzug schlotterte um die dürren Gliedmaßen, während er einige Schritte auf und ab ging. Mit auf dem Rücken gefalteten, von braunen Altersflecken überzogenen Händen blieb Wogner vor dem Fenster stehen. Ohne sich nach Anja umzudrehen, begann er erneut zu reden. »Was immer die irrigen Hoffnungen waren, die Sie zu mir geführt haben, ohne alle Ausnahme werde ich mich weigern, eine Doktorarbeit zu betreuen, die bei diesem unseligen Kollegen begonnen wurde.« Wogner griff nach einer der zahlreichen Pfeifen, die auf dem Klavier verstreut herumlagen.
Anja taten langsam die Füße weh. »Mir ist bekannt, daß Professor Schreiner und Sie nicht auf bestem Fuß standen, aber auch ich hatte in der letzten Zeit einige Differenzen mit meinem Doktorvater. So furchtbar sein Tod ist, so bin ich dennoch beinahe erleichtert, auf diese Weise meine Dissertation jemand anderem anvertrauen zu können.«
Mißtrauisch äugte Wogner zu Anja, nachdem er sich
wieder gesetzt und damit begonnen hatte, die Pfeife an dem linken Klavierbein auszuklopfen. Der ausgebrannte Tabak rieselte auf den Boden. »Welchem Sujet soll die Arbeit sich denn widmen?«
Anja verspürte eine leichte Hitzewallung. »Es soll eine Untersuchung zu den Begriffen der ›Notwehr‹ und der ›Rache als zeitlich verschobener Notwehr‹ werden. «
Wogner beendete das Pfeifeklopfen und wiegte nachdenklich sein kahles Haupt mit dem ausgedünnten Haarkranz. »Hier zeigt in aller Klarheit das Archaische sich, dem die Philosophie Rudolf
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