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Die Flammende

Die Flammende

Titel: Die Flammende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Kristin; Diestelmeier Cashore
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    Prolog
    Â 
    Larch dachte oft, dass er den Tod seiner Frau Mikra niemals verwunden hätte, wenn sein neugeborener Sohn nicht gewesen wäre. Zum einen, weil der Säugling einen atmenden, funktionierenden Vater brauchte, der morgens aufstand und den Tag über arbeitete; zum anderen wegen des Kindes selbst – so ein gutmütiges Baby, so ruhig. Sein Glucksen und Gurren war so melodisch und seine Augen dunkelbraun wie die seiner toten Mutter.
    Larch war Jagdaufseher auf einem Anwesen im südöstlichen Königreich Monsea. Wenn er nach einem Tag im Sattel nach Hause zurückkehrte, nahm er der Amme das Baby beinahe eifersüchtig ab. Verdreckt und nach Schweiß und Pferden stinkend barg Larch den Jungen an seiner Brust, setzte sich in den alten Schaukelstuhl seiner Frau und schloss die Augen. Manchmal weinte er, dann malten die Tränen saubere Streifen in sein schmutziges Gesicht, aber immer lautlos, damit er keins der Geräusche überhörte, die das Kind machte. Der Junge betrachtete ihn. Seine Augen beruhigten Larch. Die Amme sagte, es sei ungewöhnlich für ein so kleines Kind, einen dermaßen klaren Blick zu haben. »Das ist kein Grund zur Freude«, warnte sie, »ein Kind mit seltsamen Augen.«
    Larch brachte es nicht fertig, sich Sorgen zu machen. Die Amme sorgte sich schon für zwei. Jeden Morgen untersuchte sie die Augen des Babys, wie es die unausgesprochene Angewohnheit aller frischgebackenen Eltern in den sieben Königreichen war, und jeden Morgen atmete sie ein wenig freier, sobald sie festgestellt hatte, dass sie unverändert waren. Denn ein Säugling, der mit gleichfarbigen Augen einschlief und mit verschiedenfarbigen Augen wieder aufwachte, war ein Beschenkter; und in Monsea wurden beschenkte Babys wie in den meisten Königreichen umgehend Eigentum des Königs. Ihre Familien bekamen sie in der Regel nie wieder zu Gesicht.
    Auch nachdem der erste Geburtstag von Larchs Sohn verstrichen war, ohne dass sich die braunen Augen des Jungen verändert hätten, hörte die Amme nicht auf zu unken. Sie hatte Erzählungen von Beschenkten gehört, bei denen es länger als ein Jahr gedauert hatte, dass die Augen ihre endgültige Farbe angenommen hatten, und Beschenkter oder nicht, das Kind war auf jeden Fall nicht normal. Erst vor einem Jahr war Immiker aus dem Bauch seiner Mutter gekrochen und er konnte schon seinen Namen sagen. Mit fünfzehn Monaten bildete er einfache Sätze; mit anderthalb Jahren hatte er die Babysprache abgelegt. Zu Beginn ihrer Zeit bei Larch hatte die Amme gehofft, durch ihre Fürsorge einen Ehemann und einen starken, gesunden Sohn zu gewinnen. Jetzt fand sie das Baby, das wie ein kleiner Erwachsener sprach, während es an ihrer Brust trank, und jedes Mal wortgewandt Bescheid gab, wenn seine Windeln gewechselt werden mussten, geradezu unheimlich. Sie kündigte.
    Larch war froh über den Weggang der missmutigen Frau. Er baute eine Trage, in der das Kind während der Arbeit vor seiner Brust hing. Er weigerte sich, an kalten oder regnerischen Tagen auszureiten; er weigerte sich, mit dem Pferd zu galoppieren. Er arbeitete weniger und machte häufig Pausen, um Immiker zu füttern, ihn in den Schlaf zu wiegen und zu wickeln. Das Kind plapperte unentwegt, fragte nach den Namen von Pflanzen und Tieren und erfand Nonsensgedichte, die sich Larch gern anhörte, weil sie ihn immer zum Lachen brachten.
    Â»Die Vöglein, sie lieben die Wipfel der Bäume, denn in ihrem Kopf sind das Wunderorte«, sang der Junge geistesabwesend und tätschelte im Rhythmus den Arm seines Vaters. Dann, einen Augenblick später, sagte er: »Vater?«
    Â»Ja, mein Sohn?«
    Â»Du liebst die Dinge, die ich mir erträume, denn in deinem Kopf gelten nur meine Worte.«
    Larch war vollkommen glücklich. Er wusste nicht mehr, warum ihn der Tod seiner Frau so betrübt hatte. Er sah jetzt ein, dass es besser so war, mit ihm und seinem Sohn allein auf der Welt. Er begann den Leuten auf dem Anwesen aus dem Weg zu gehen, weil ihre Gesellschaft ihn langweilte und er nicht einsah, warum sie in den Genuss des Umgangs mit seinem Sohn kommen sollten.
    Als Immiker drei Jahre alt war, öffnete Larch eines Morgens die Augen und sah, dass sein Sohn wach neben ihm lag und ihn anstarrte. Das rechte Auge des Jungen war grau. Sein linkes Auge war rot. Larch sprang entsetzt und mit gebrochenem Herzen auf. »Sie werden dich

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