Berliner Aufklaerung - Roman
Bügel wartete. Anja schälte sich aus ihren Stiefeln und Hosen. Aus dem BMW heraus, der sich inzwischen auf Schnauzenlänge mit Hektor befand, wurden ihre Verrenkungen betont unauffällig verfolgt. Anja stellte das Radio wieder lauter: All I want is a little reaction, just enough to tip the scales, I’m just using my female attraction on a typical male.
Anja warf ihre Jeans auf den Rücksitz und schlängelte sich in den knielangen Rock. Auf dem Fahrersitz des BMW ruckte es. Anja überlegte, daß sie Hektor vielleicht nicht nur mit einem Rollo für das Heckfenster, sondern auch noch mit einem für die Frontscheibe und Gardinen hätte ausstatten lassen sollen. Andererseits hatte so ein improvisierter Striptease montags nachmittags auf der Stadtautobahn auch seine Reize. Anja räkelte sich genüßlich aus ihrem schwarzen Wollpulli und warf ihn mit gespreizten Fingern ebenfalls auf die Rückbank. Auf der Straße rührte sich gerade gar nichts, so daß die Chance, einen kleinen BMW-Auffahrunfall zu provozieren, leider gering war. Nachdem Anja noch eine Weile so getan hatte, als ob sie ihr Oberteil nicht finden könnte, vervollständigte sie ihre Garderobe mit Bluse, Blazer und High Heels. Zum Abschluß steckte sie ihren Haarwust hoch und zückte einen knallroten Lippenstift, der sich mit ihrer neuen Haarfarbe »Rubin« gerade um die Nuance biß, daß es pikant aussah. Im Rückspiegel betrachtete sie
ihr Werk. Sie war zufrieden mit dem scharfgeschnittenen Gesicht, aus dem zwei dunkle Augen, eine markant gebogene Nase und der signalrote Mund hervorstachen. Jetzt fehlte nur noch die schmale schwarze Kastenbrille mit Fensterglas. Anja fand, daß erst sie ihr den nötigen seriösen Touch verlieh.
Langsam näherte sich Anja der akuten Stauursache, die, mit dem Autofahrer-Unfähigkeitsfaktor multipliziert, die fünf Kilometer lange Blechschlange produziert hatte. In Situationen wie dieser war Anja froh, daß sie schon länger zu der goldenen Berlin-Überlebensregel gefunden hatte: Niemals wundern oder ärgern! Laut Warnschild würde sich in fünfhundert Metern die Stadtautobahn von drei Spuren auf eine einzige verjüngen. Das Wochenende war vorbei, und sicherlich mußte wieder einmal dringend nachgesehen werden, ob unter dem Asphalt noch alles in Ordnung war.
Dem BMW, der Anja nun am Ende des Spurts um drei Pferdelängen überholt hatte, fehlte offensichtlich das entspannte Verhältnis zur Berliner Verkehrspolitik. Er hatte allein in den letzten fünf Minuten elfmal die Spur gewechselt.
Anja erreichte die Trendelenburgstraße um Punkt vier. Ganz gegen alles Gewohnte war vor Haus Nummer siebzehn, in dessen viertem Stock Anjas Praxis lag, nicht nur eine freie Parklücke, sondern sogar eine, die lang genug war, Hektors würdige fünftausendzweihundertdreizehn Millimeter Maximallänge zu beherbergen. Wie zwei kleine Schneckenfühler fuhr Hektor seine Peilstäbe am Heck aus, und Anja parkte ein.
KOMMUNIKATIVE KOMPETENZ
Hildegard Kloppenbrink, geborene von Zernack, saß bereits im Armani-Kostümchen mit zusammengepreßten Knien und durchgedrücktem Rücken auf dem Plexiglas-Stuhl vor Anjas Praxis und blätterte in dem Katalog eines berühmten Auktionshauses, als Anja um fünf nach vier den Flur betrat. Auch Frau Kloppenbrink schien heute noch angespannter zu sein als gewöhnlich.
Sie war eine zierliche, blondierte Dame in den beginnenden Fünfzigern und keine einfache Existenz. Aus einem alten, aber verfallenen Adelsgeschlecht stammend hatte sie früh bürgerlich geheiratet, ganz im Sinne der selbstgestellten Lebensaufgabe, ihre Familie als bürgerliche zu restaurieren. Zu diesem Zweck hatte sie zwei Kinder in die Welt gesetzt, die im Geiste deutscher Bourgeoisie erzogen worden waren, inzwischen aber ihre eigenen Wege gingen. Nach dem Verlust ihres familiären Betätigungsfeldes hatte Frau Kloppenbrink einen kleinen Kunstverlag gegründet, der in einschlägigen Kreisen für seine erlesenen Bildbände mit Biedermeiermöbeln bekannt war.
Verheiratet war die geborene von Zernack mit einem finanzkräftigen Berliner Immobilienmakler, der seiner Frau zwar die beiden Kinder und den Verlag geschenkt hatte, sie aber in anderer Hinsicht seit nunmehr fast dreißig Jahren höchst unbefriedigt ließ. Eben dieser Mißstand und die gesellschaftlich-sozialen Bedenken
bezüglich einer Psychoanalyse hatten Frau Kloppenbrink in Anjas Praxis getrieben. In monatelanger, mühevoller Kleinarbeit hatte Anja ihre Kundin zu dem Punkt gebracht, wo sie
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