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Berliner Zimmer - Roman

Berliner Zimmer - Roman

Titel: Berliner Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
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sich Vater geschämt, blindlings mitgemacht zu haben, mitgelaufen zu sein. Oder gab es wirklich sonst noch etwas, wofür er sich schämen musste, etwas Größeres, Schlimmeres?

13
    Irgendwann in der Nacht erwachte ich durch die penetrante Melodie meines Mobiltelefons. Im Traum war es die Glocke zur letzten Runde im Stadion gewesen, die ich zu läuten hatte, und ich tat dies zur Unzeit, als das Rennen längst zu Ende war, und erst als ich nach dem Telefon auf der Ablage über meinem Bett langte, begriff ich, dass dies schon die längste Zeit der Klingelton des Telefons gewesen war.
    „Angelina“, sagte ich, „was gibt es so früh?“
    „Ich bin es, deine Mutter“, hörte ich die Stimme Mamas aus dem Hörer.
    „Verzeih, Mutter, ich habe dich nicht erkannt“, sagte ich.
    „Weißt du, was“, unterbrach mich Mama, „wir hätten ihn verbrennen lassen sollen. Dann hätten wir jetzt keine Scherereien.“
    „Wir haben keine Scherereien, Mutter“, entgegnete ich.
    „Doch“, sagte sie und beharrte darauf, dass wir Vater dem Feuer hätten übergeben sollen. Das würden jetzt alle machen, wo es doch viel hygienischer sei, viel umweltfreundlicher und raumsparend dazu.
    „Ich habe doch keinen Platz neben ihm“, beklagte sie sich, „stell dir vor, wenn ich morgen sterben sollte. Wo ihr doch so einen breiten Sarg für ihn bestellt habt.“
    „Du stirbst morgen bestimmt nicht, Mama“, sagte ich, „das kann ich dir garantieren. Und wenn, dann werden wir sicher ein schönes Plätzchen für dich finden. An Vaters Seite, wenn du willst. Oder auch in einem eigenen Grab, du musst uns nur sagen, was dir lieber ist. Ich habe mit Gregor bereits gesprochen“, log ich.
    Ich hörte, wie Mama versuchte, meine Worte zu verstehen. Sie sprach sie halblaut nach, damit sich ihr deren Sinn erschlösse. Gleich würde sie Gregor verteidigen.
    Mich wunderte, dass sie kein Wort über Vater verlor, über die Unterlagen und Briefe aus Berlin. Wahrscheinlich aber hatte sie bereits alles vergessen und es würde wenig Sinn haben, dass ich Gregors Wunsch nachkam und Mama zu beruhigen versuchte.
    „Mit Gregor kann man nicht mehr rechnen“, schrie meine Mutter ins Telefon, „er ist ja völlig übergeschnappt!“
    „Ja“, fragte ich und versuchte, ruhig und sachlich zu bleiben, „was ist denn passiert?“
    „Das fragst du noch“, schrie Mutter, „du warst ja selbst dabei, als er behauptete, Papa laufe jetzt seiner früheren Geliebten hinterher. So eine Dummheit.“
    „Es geht ihm schon wieder besser“, sagte ich, „Gregor hat eingesehen, dass er sich schrecklich getäuscht hat. Auch er hat begriffen, dass Vater auf dem Friedhof liegt, in einem viel zu großen Sarg, und sich nicht mehr rührt.“
    „Das sag ich ja die längste Zeit“, sagte Mama, „wir hätten ihn verbrennen lassen sollen.“
    „Du hast recht, Mama“, sagte ich, „wie immer.“
    Und dann drückte ich die Aus-Taste am Telefon, um vielleicht noch ein bisschen schlafen zu können oder zumindest zu dösen, bis ich zum Frühstück hinuntergehen konnte.
    Am Nachmittag fuhr ich mit Vaters Abbild auf dem dünnen Faxpapier quer durch die Stadt. Ich stieg eine Station früher aus, ging die Schönhauser Allee entlang, vorbei am alten jüdischen Friedhof, den man jetzt wie ein Museum behandelte, vorbei am Einerlei der Hausfassaden, die sich ihr Grau über die Jahrzehnte wohl bewahrt hatten. Schließlich betrat ich das dunkle Treppenhaus und stieg in den ersten Stock, wo Klara Hubmann wohnte.
    Sie war gleich nach meinem Klingeln an der Tür, als hätte sie dahinter auf mich gewartet. Neuerdings schimpfte sie über den Lärm, den die anderen Hausbewohner machten, und bat mich in die Küche. Es war wie beim letzten Mal, nur diesmal hatte ich das Gefühl, willkommen zu sein.
    Ich zog das Faxpapier aus meinem Schreibheft, aber noch bevor Frau Hubmann Vaters Foto betrachtete, das vor ihr auf dem Tisch lag, nahm sie meine rechte Hand in die ihre und sagte: „Verzeihen Sie, dass ich Sie letztes Mal einfach verschickt habe.“
    „Keine Ursache“, sagte ich, „das kann ich gut verstehen.“
    „Aber nein“, sagte sie, „ich glaube, das können Sie nicht verstehen. Trotzdem will ich Ihnen sagen, was los ist. Schließlich sind Sie ja sein Sohn.“
    „Sie erinnern sich also an ihn, Sie haben ihn gekannt?“
    „Aber ja“, sagte die kleine Frau Hubmann, drückte meine Hand und ließ sie dann los. „Ich habe Sie ja gleich erkannt. Ihr habt ja dieselben Augen, denselben

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