Berndorf, Jacques (Hrsg)
Abneigung gegen Hunde.
Corinnas Schwester Gertrud wird sich am 11. Oktober 2010 eine neue Einbauküche ins Elternhaus liefern lassen.
Fast zwei Jahre später, am 23. September 2012, wird Helene Diesvogel (48) aus Pützborn bei einem Nachmittagsspaziergang am Totenmaar die angespülten Teile eines menschlichen Skeletts im Uferschlamm entdecken und die Polizei rufen. Wieder zu Hause, wird Helene eine Beruhigungstablette nehmen und telefonieren, um alle Termine mit ihren Klavierschülern abzusagen. Dann wird sie sich an ihren Schreibtisch setzen und auf das Bild ihrer vor drei Jahren verschwundenen Tochter Vanessa starren. Sie wird sich ganz sicher sein, dass sie an diesem Morgen ihre Tochter gefunden hat und nur noch auf den bestätigenden Anruf der Polizei warten.
Am nächsten Morgen, dem 24. September 2012, wird der Tierpfleger Magnus Hitzbrink aus der Tür des Tierheims in Mayen treten, einen Augenblick lang stehen bleiben und sich die Stelle an seiner Hand reiben, in die sich Poldi seinerzeit verbissen hatte. Die Stelle wird Hitzbrink auch in Zukunft dauerhaft schmerzen, besonders bei Wetterumschwung.
Hitzbrink will sich auf dem Weg zum Bahnhof am Kiosk eine Zeitung kaufen. Er wird die Schlagzeile sofort bemerken, dem Drang jedoch widerstehen, die Zeitung aus der Halterung zu reißen. Der Kioskbesitzer wird die Münzen entgegennehmen und Magnus Hitzbrink wird sich zwingen, zunächst die Sportseiten aufzuschlagen. Erst dann wird er, äußerlich ruhig, zurückblättern und feststellen, dass man die Leiche am Ufer des Totenmaars gefunden hat. Sein Herzschlag wird sich beruhigen, denn dort hat er keines seiner Opfer gelassen. Hitzbrink hat eine Abneigung gegen Wasser.
Bisher ist nur sein erstes Opfer entdeckt worden. Magnus Hitzbrink wird flüchtig an die kleine Blondine mit dem Namen Vanessa denken und sich sagen, dass der Komposthaufen ein törichter Anfängerfehler war, wie er ihm niemals wieder unterlaufen wird.
Die Polizei wird Helene Diesvogel mitteilen, dass es sich bei der von ihr gefundenen Toten nicht um ihre Tochter handelt. DNA-Tests werden ins Leere verlaufen. Corinna wird als ungelöster Fall ein viertes, ein papiernes Begräbnis in den Polizeiakten erhalten. Und so wird Helene Diesvogel nie erfahren, dass sie durch Zufall jene Frau gefunden hat, in deren Grab auf dem Friedhof von Daun seit zweieinhalb Jahren ihre Tochter Vanessa liegt.
Gertrud Grimm wird im Frühsommer 2015 bei der Kirschernte im Garten ihres Elternhauses von der Leiter fallen und sich den Hals brechen.
Holz vor der Hütte
von Stephan Everling
Das Schwein, der Sauhund, diese miese Ratte …« Während Tobias Wennerscheid seine Liste der dem Tierreich entlehnten Schimpfwörter abarbeitete, stapfte er fassungslos durch den Wald. Es war unglaublich! War den Leuten denn nichts mehr heilig? Sechs seiner schönsten Bäume hatte man ihm einfach geklaut! Bäume! Riesige, dreißig Meter hohe Buchen!
Wenn dies zum ersten Mal passiert wäre, dann hätte Tobias Wennerscheid geschimpft, geflucht und eine willkommene Ausrede gehabt, den Ärger am Abend mit ein paar Extra-Schnäpschen herunterzuspülen. Vor allem aber hätte er sich gefragt, wer in Dreiteufelsnamen sechs riesige Bäume einfach verschwinden ließ. Es handelte sich ja nun wirklich nicht um Geranien, sondern tatsächlich um riesige, gerade, reich belaubte, wunderschöne … er durfte gar nicht dran denken, dann würde ihm schon wieder anders!
Doch so drehte er sich um, blickte in das gottvergessene Tal und brüllte in die Richtung, in der er den Übeltäter wusste: »Hermann-Josef Menges, du gewissenloser Schuft, das wirst du büßen!«
Hier, zwischen den fast schluchtartig abfallenden Berghängen, hallte es recht zufriedenstellend. Der Regen hatte den Boden weichgemacht und hing immer noch in großen Tropfen an den Ästen der Bäume, die von Zeit zu Zeit größere Schwaden unter sich fallen ließen. Sanft kroch ein Nebel zwischen den Stämmen hoch; man hätte auch wirklich nicht mehr gewusst, wo die ganze Feuchtigkeit hin sollte, die seit Wochen die Eifel mit einem Regenschauer nach dem anderen überzog. Wennerscheid hatte keinen Blick für diesen Tanz der Nebelelfen um ihn herum, in ihm machte sich das schmerzende Gefühl des Ausgenutzten, des Betrogenen und Bestohlenen breit. Er wusste ja genau, wer es gewesen war, aber wie üblich konnte er nichts machen. Wie immer hatte sich niemand in dieses gottverlassene Seitental der Rureifel verirrt, als Hermann-Josef Menges mit dem
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