Bernstein-Connection - Klausner, U: Bernstein-Connection
war der Mann mit den vielen Gesichtern, charmant, weltoffen und gebildet, zuweilen auch grob, rücksichtslos und brutal und so skrupellos, dass er seinesgleichen suchte. Er war der Mann, auf den die Frauen flogen, schlank, aber nicht zu sehr, gut gebaut und dunkeläugig, mit einnehmendem, fast hypnotischem Blick und walnussfarbenem, kaum zu bändigendem Haar. Dank dieses Blickes und der Fähigkeit, die jeweiligen Gesprächspartner völlig für sich einzunehmen, hatten diese das Gefühl, der Sohn eines betuchten Gemischtwarenhändlers aus dem ostpreußischen Gumbinnen sei ausschließlich an ihnen, und nur an ihnen interessiert. Es war diese Fähigkeit, die ihn fast nie auf taube Ohren stoßen ließ, in welchen Kreisen er sich auch bewegte.
Darüber hinaus besaß Curt Holländer, Offizier im besonderen Einsatz, Oberleutnant der Staatssicherheit und Wagner-Verehrer, die Fähigkeit, in jede beliebige Rolle zu schlüpfen. Und sei sie auch noch so ausgefallen. Hier Folterknecht, da Charmeur. Bei ihm funktionierte so etwas auf Knopfdruck. Nicht etwa, weil er ein übermäßig begabter Schauspieler gewesen wäre, sondern weil er Worte wie Prinzipientreue, Loyalität und Standfestigkeit nur vom Hörensagen kannte. Holländer war völlig gewissenlos, ein in seiner Zunft nützliches, wenn nicht gar unverzichtbares Requisit. Das einzig Wichtige für ihn war, auf der Seite der Sieger zu stehen. Dafür würde er alles, aber auch alles tun.
Wenn es sein musste, sogar den Leichnam eines ehemaligen Kameraden ausbuddeln.
In Gedanken bereits bei seinem Vorhaben, kramte Rembrandt eine zerknitterte Anzeige aus seiner Tasche und überflog den Text.
›In aller Stille nehmen wir Abschied von unserem Ehemann, Vater, Bruder, Schwager und Onkel, Hans-Hinrich von Oertzen, (*17.9.1917, †4.6.1953). Wir werden ihm stets ein ehrenvolles Andenken bewahren.‹
Die Todesanzeige in der rechten, sein Feuerzeug in der anderen Hand, entzündete Rembrandt den Zeitungsausschnitt und hielt ihn so lange in der Hand, bis die bläulich-gelbe Flamme seinen Daumen beinahe erreicht hatte. Dann ließ er das Feuerzeug wieder in die Tasche gleiten, öffnete den Abfallbehälter und ließ die spärlichen Reste darin verschwinden. Holländer lachte leise in sich hinein. Der gute alte von Oertzen. Vorzeigearier vom Scheitel bis zur Sohle, auch optisch. Gardemaß, blond, blauäugig und von edelstem Geblüt. SS-Standartenführer. Ein nordischer Recke wie aus der Rassenfibel.
Genau der Mann, nach dem er jahrelang auf der Suche gewesen war.
Im Begriff, in Höhe der Museumsinsel aus einem Waggon der Linie 5 zu sehen, blieb Holländers Blick an seinem Spiegelbild haften. Der Impresario mit dem d’Artagnan-Bart, eine seiner Paraderollen, hatte ausgespielt. Nicht zuletzt deshalb hatte er seine Klamotten gewechselt, sich rasiert und seine Lockenpracht kräftig gestutzt, wenngleich er sich nicht dazu hatte durchringen können, auf seinen exotischen Bartschmuck zu verzichten. Kein Zweifel, im alles entscheidenden Moment war der Mann ohne Gesicht gefragt, nicht der, den die Kameraden im Krieg Professor getauft hatten. Dabei konnte Holländer wirklich nicht von sich behaupten, dass er musisch oder künstlerisch desinteressiert war. Ganz im Gegenteil. Schließlich hatte er nach dem Abitur Kunstgeschichte studiert und es diesbezüglich zu profunden Kenntnissen gebracht. Wirklich Feuer gefangen hatte er jedoch nie, und so war es für ihn kein Verlust gewesen, als sich aufgrund der Beziehungen seines Vaters die Chance für eine Karriere in der SS ergeben hatte. Rembrandt fuhr mit dem Zeigefinger über seinen Musketierbart und lächelte. Dieses Gesülze von Ariertum, der Überlegenheit der nordischen Rasse und unverbrüchlicher Treue zum Führer war ihm zwar von Anbeginn zuwider gewesen, geschadet hatte es seiner Karriere allerdings nicht, war er schließlich dadurch in die unmittelbare Nähe zur Macht gerückt, auf Tuchfühlung sozusagen. Wenn nicht die Frauen, dann war es die Karriere gewesen, die ihn stets angezogen hatte. Macht, entsprechende Beziehungen und die Möglichkeit, nach Kräften davon zu profitieren. Profit, persönliche Vorteile und das Kapital, welches sich aus dem Wissen um die Geheimnisse der Mächtigen schlagen ließ. Darauf, und nur darauf kam es an.
Apropos Geheimnis. Wenn es eines gab, hinter dem die halbe Welt her war, dann das, dessen Enträtselung er sich mit Haut und Haaren verschrieben hatte. Auf einen Schlag wie elektrisiert, sprang
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