Bernstein-Connection - Klausner, U: Bernstein-Connection
Mitternacht, übte er sich in Galgenhumor. Gewitterschwüle. Wie passend. Von den Ästen der Kiefer, unter die er sich zurückgezogen hatte, tropfte die Feuchtigkeit, und wie er so ausharrte, umgeben von Dunstschwaden, Gräbern und einem Marmorengel, der seine mit Moosflechten bedeckten Schwingen im mitternächtlichen Zwielicht ausbreitete, beschlich ihn das Gefühl, das alles hier sei nur ein Traum. Oder etwas weitaus Schlimmeres.
»Na, schon fertig, Genosse?«
»Mann, haben Sie mich vielleicht erschreckt!« Wachsbleich im Gesicht, wirbelte Laurin herum. Wie es die Gestalt im Trenchcoat geschafft hatte, sich unbemerkt an ihn heranzupirschen, war ihm schleierhaft. Einen flüchtigen Moment lang, die Hand bereits am Abzug seiner Tokarew, drängte sich ihm der Gedanke auf, hier könne es sich nur um ein Hirngespinst handeln. Doch weit gefehlt.
»Weshalb so unwirsch, Genosse? Von mir haben Sie nichts zu befürchten.« Rembrandt zückte sein Feuerzeug, zündete sich eine KARO-Zigarette an und neigte den Kopf zur Seite, ein gönnerhaftes Lächeln im Gesicht. »Wie ich sehe, haben Sie gute Arbeit geleistet.«
»Danke für die Blumen.«
»Ehre, wem Ehre gebührt«, scherzte Rembrandt und inspizierte das offene Grab, wobei sich Laurin der Eindruck aufdrängte, sein Führungsoffizier verwechsle den Friedhof mit einer Vernissage. »Hübsch, wirklich sehr hübsch.«
»Und was nun?«
»Sprach Lenin und schickte seine Kinder ins Bett.«
»Selten so gelacht, Genosse.« Außerstande, mit seiner Antipathie hinterm Berg zu halten, ballte Laurin die Faust, bis die Knöchel hervortraten, und bedachte Rembrandt mit einem finsteren Blick.
»Aber, aber, wer wird denn gleich patzig werden«, besänftigte Rembrandt den zwei Köpfe kleineren, ihm hoffnungslos unterlegenen Kontrahenten. »Nur ein kleiner Scherz am Rande.«
»Besten Dank. Was das angeht, ist mein Bedarf gedeckt.«
»Na schön – ganz wie Sie wollen!«, brach es aus Rembrandt ohne erkennbare Anzeichen von Groll hervor. Laurin war völlig überrumpelt. »Dann eben zum Geschäftlichen. Finger weg von der Waffe, Genosse, sonst muss ich andere Methoden anwenden.«
»Was erlauben Sie sich eigentlich? Noch ein Wort, und ich werde mich bei Mielke über Sie …«
»Gar nichts werden Sie. Ihre Waffe – aber ein bisschen dalli! Raus aus dem Halfter und her damit!«
Ein Blick auf Rembrandts ausgebeulten Trenchcoat, und Lippman hatte verstanden. Laurins Tokarew in der linken Hand, nahm Rembrandt die Finger vom Abzug, führte sie zum Mund und sog genüsslich an seiner Zigarette. Gerade so, als sei dies ein gemütlicher Plausch unter Freunden. Geraume Zeit später, als er sie fast zu Ende geraucht hatte, schnippte er die Kippe ins nahe Gestrüpp, zwinkerte Laurin zu und richtete die eigene Waffe auf ihn. »Etwas dagegen, wenn ich Ihnen einen Rat gebe, Genosse?«, fragte er in hochtrabendem Ton.
Die Knie weich wie Butter, schüttelte Laurin den Kopf.
»Ein Berufswechsel stünde Ihnen gut zu Gesicht. Nicht gerade professionell, Ihr Verhalten.«
»Sag, was du von mir verlangst, und dann …«
»Einen Freundschaftsdienst unter frischgebackenen Duzbrüdern«, feixte Rembrandt, »mehr nicht.«
»Und der wäre?«
»Du wirst jetzt in die Grube klettern, den Sarg aufknacken und etwas zutage fördern, das von außerordentlicher Wichtigkeit ist. Für mich!«, erläuterte Rembrandt süffisant, »damit wir uns richtig verstehen.«
»Fahr zur Hölle, Verräterschwein!«, schleuderte ihm Laurin ins Gesicht, dessen Couragiertheit unmittelbar darauf einen herben Dämpfer erlitt. Die Mündung der Tokarew, die er an der schweißverklebten Stirn spürte, sprach eine zu deutliche Sprache.
Und so tat Willy Lippmann, linientreuer Kommunist und Agent aus Überzeugung, genau das, was sein Gegenüber von ihm verlangte.
Am Fußende des Sarges angekommen, schnappte Laurin nach Luft. Hier wimmelte es nur so von Regenwürmern, Maden und allen nur erdenklichen Kriechtieren, und als er den Blick hob, sah er, wie im Lichtkegel von Rembrandts Taschenlampe ein Borkenkäfer über den Sargdeckel spazierte. Laurin würgte, hätte sich beinahe übergeben. Zum Henker mit dir!, hämmerte es ihm durch den Schädel, das Geräusch des auffrischenden Windes im Ohr, der eine Handvoll aufgehäufter Erde wieder zurück in die Grube wehte. Bisher der Meinung, ihn könne nichts mehr erschüttern, wurde Laurin eines Besseren belehrt. Himmel und Hölle waren keine Erfindung. Vor allem Letztere nicht. Die Hölle
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