Bernstein-Connection - Klausner, U: Bernstein-Connection
Rembrandt auf, blieb aber auf halbem Weg zur Waggontür stehen. Allein der Gedanke an das Bernsteinzimmer hatte genügt, um ihn die sozialistische Tristesse ringsum vergessen zu lassen. Keine Macht der Welt, am allerwenigsten eine Frau, würde ihm so kurz vor dem Ziel einen Strich durch die Rechnung machen. Ein habgieriges Funkeln trat in Rembrandts Gesicht, ungeachtet der adretten Blondine, die ihn aufmerksam beäugte. Wandvertäfelungen aus Bernstein, jede davon ein Vermögen wert. Dazu Spiegelpilaster, Steinmosaiken und Schnitzwerk, sorgsam verpackt in 24 Kisten. Eines der kostbarsten Kunstwerke, das die Welt je gesehen hatte, und er, Curt Holländer, würde den Finderlohn dafür kassieren. Vorausgesetzt, es käme ihm niemand in die Quere. Rembrandts Miene verfinsterte sich wieder und nahm einen dämonischen Ausdruck an. Panzergrenadier Benjamin Kempa, Weichling vom Scheitel bis zur Sohle, bei der SS völlig fehl am Platz. Ausgerechnet er hatte versucht, ihn zu übertölpeln. Obwohl er ganz genau hätte wissen müssen, mit wem er sich anlegte.
›Bahnhof Friedrichstraße. Bitte aussteigen, der Zug endet hier.‹ In Gedanken bei seiner Zeit in der SS, holte ihn die Durchsage auf dem Bahnsteig in die Gegenwart zurück. Wieder ganz der Alte, sah sich der Mann mit den vielen Gesichtern argwöhnisch um, stieg aus und steuerte auf die Stufen zu, die hinunter zum U-Bahnhof führten. Um potenzielle Verfolger abzuschütteln, bestieg er einen Zug der Linie 6, wartete bis kurz vor der Abfahrt und stieg in letzter Sekunde wieder aus. Danach kehrte er wieder in die Bahnhofshalle zurück, halbwegs sicher, von nun an freie Bahn zu haben. Dabei fiel ihm ein Transparent auf, und obwohl er momentan andere Sorgen hatte, wäre er bei dessen Lektüre beinahe in Gelächter ausgebrochen. ›Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen‹, war auf dem Spruchband zu lesen.
Welch ein Hohn.
Ein Glück, dass seine Tage in Diensten der Stasi gezählt waren. Gut gelaunt wie schon lange nicht mehr, ließ Rembrandt den Blick durch die gähnend leere Bahnhofshalle schweifen. Kurz darauf, offenbar allein auf weiter Flur, ging er zum öffentlichen Münzfernsprecher, griff zum Hörer, wählte und übermittelte die kürzeste Nachricht seines Lebens. Eine Nachricht, die nur aus einem einzigen Wort bestand: »Ostseegold«. Dann hängte er auf und schlenderte ohne erkennbare Eile zum Haupteingang.
Die Hände in einen Trenchcoat gesteckt, der ebenso unauffällig wie schäbig war, trat Rembrandt auf die Straße. Es war ruhig hier draußen, dermaßen ruhig, dass es einem schon wieder verdächtig vorkam. Vor dem Eingang waren zwei Taxifahrer in ein hitziges Gespräch vertieft, das war auch schon alles. Fahles Laternenlicht, Nieselregen und Pfützen, in denen sich eine bleifarbene Brühe staute. Und immer noch Ruinen, mehr als acht Jahre nach dem Krieg. Realistischer hätte man den Sozialismus nicht darstellen können.
Doch damit, vor allem mit diesen Scheißparolen, dem dämlichen Propagandagequatsche und Herbeireden einer goldenen Zukunft, war jetzt ein für alle Mal Schluss. An das, was die Berufsoptimisten aus der Partei vom Stapel ließen, glaubten ja wohl selbst die treuesten Jünger der SED nicht mehr.
Auferstanden aus Ruinen [23] – von wegen.
Ohne sich umzudrehen, beschleunigte Rembrandt seinen Schritt und schlug den Weg in Richtung Linden ein. Obwohl es auf Mitternacht zuging, war die Schwüle, unter der Berlin ächzte, immer noch nicht abgeklungen, und nach ein paar Hundert Metern tropfte dem Offizier im besonderen Einsatz bereits der Schweiß von der Stirn. Aus den Gullys am Straßenrand stiegen grauweiße Dunstschwaden empor, kein Mensch, nicht einmal ein Vopo, kreuzte seinen Weg. Eine unerträgliche, fast mit Händen zu greifende Spannung lag über der Stadt, doch Rembrandt, in Gedanken längst woanders, bekam davon nichts mit. Für ihn zählte nur noch eins: sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Alles andere, das Schicksal des Arbeiter- und- Bauernstaates mit eingeschlossen, war ihm vollkommen egal.
Hauptsache, er kam unbehelligt nach drüben.
An der Ecke Linden-Friedrichstraße, nur wenige Gehminuten vom Brandenburger Tor entfernt, sollte sich diese Hoffnung jedoch zerschlagen. Unter normalen Umständen hätte er die Zivilstreife, die auf ihn zusteuerte, bereits hundert Meter gegen den Wind gerochen. Aber was, stöhnte Rembrandt innerlich auf, während er nach seinem Dienstausweis tastete, ist am heutigen Tag schon normal. Gar
Weitere Kostenlose Bücher