Bernsteinaugen und Zinnsoldaten
brachte sie ihren Kith-Geschwistern näher, alle zusammen, wie es sein sollte.
Nein, nicht alle … Er hatte einen Teil der Kith weggeschickt – den verwundbaren Teil, den eingeborenen Teil (sein/ihr Verstand wehrte sich gegen diese Unterscheidung). Denn das dort unten, dessen war er sicher, das war nicht einfach eine Gruppe sich nähernder Menschen, sondern ein heulender Mob. Er blickte zurück in die Dutzende von ängstlichen Gesichtern seiner Freunde. Das hohe Wimmern der sich nähernden Schneefahrzeuge drang nun konstant an sein Ohr. Über die schneebedeckten Weiten der Tundra hinweg, weit hinter ihrem eigenen, verlassenen Lager, konnte er die verwahrlosten, unangemessenen Zelte der Hauptsiedlung der Fremden erkennen, wo diese Gruppe armseliger Überlebender menschlicher Einmischung, von Flechten und Maden ernährt, ihr kümmerliches Dasein fristete. Beim ersten Anzeichen von Ärger waren die Eingeborenen geflohen.
Tarawassie/Basiliones Blick glitt mechanisch über die vertraute Landschaft, die vom zurückweichenden Eis freigegeben wurde – eine öde Felslandschaft, geglättet von darüber hinweggeglittenen Gletschern, der hauchzarte, sterile Geruch, der über dem Schnee lag. Eines Tages würde dieser Schnee schmelzen und guten Ackerboden freigeben … Aber hier, am Ufer des zugefrorenen Sees, war dieses Land so öde wie der Mond, und die Menschen existierten hart am Rand der Existenz und haßten sich selbst.
Gütiger Gott, war es wirklich neun Jahre her, daß er mit dem großen Transporter von der Heimatwelt hierhergekommen war? Nur neun Jahre vergangen, seit er hergekommen war, um zu beweisen, daß die Eingeborenen Untermenschen waren, seit er selbst geglaubt hatte, daß sie eine Sackgasse der Evolution darstellten, nicht mehr waren als Tiere? Scham stieg in ihm auf. Doch es bestand kein Grund mehr, beschämt zu sein. Das war ein anderer Mensch gewesen, jenes frühere Ich …
Eine grelle Erinnerung zeigte ihm seine Heimat, die Heimat weit und den Mann, der er einst gewesen war. Frühling – er hatte den alten Hof des Universitätsgeländes überquert, mit seinem Geruch nach frisch knospenden Blüten, der die Luft erfüllte, um einen Vorlesungssaal zu besuchen, wo die Studenten standen und zuhörten, denn es gab nur Stehplätze. Eine Welt, in der er und seine Frau bedrückt waren von ihrer eigenen Nähe, denn Nähe, das bedeutete zuerst und vor allem Teil einer Menge zu sein, eingequetscht mit vielen anderen.
Nun fühlte er die Nähe seiner Frau anders, fühlte die tiefe, geistige Nähe, die sie beide mit allen ihren Freunden teilten – aufgrund der Vereinigung, des gegenseitigen Offenbarens. Nichts konnte sie mehr trennen, weder die Verbannung durch die Wirklichen Menschen noch der Haß der Menschen dort unten. Wenn sie es doch nur irgend jemandem zeigen könnten, wenn man beiden Seiten verständlich machen könnte, was ihre Kith-Brüderschaft zusammenhielt, trotz Verfolgung und der daraus resultierenden Härten, was sie glücklich machte und wünschen ließ hierzubleiben, all die Dinge, die sie zusammen erfahren durften – Dinge, die die unwissenden Menschen niemals erleben würden …
Shemadans lehnte an seiner Seite, er hörte jemanden ängstlich murmeln, dann das Niesen eines Kindes im kalten Wind. Die vier Schneefahrzeuge waren ungefähr fünfzig Meter von ihnen entfernt zum Halten gekommen. Er zählte mit, während die Vigilanten nach draußen stiegen – fünfzehn … achtzehn … vierundzwanzig –, sie kurz mit Blicken maßen und dann zu Fuß in Richtung des Lagers davonstapften. Er blickte argwöhnisch gegen den eisigen Wind, konnte langsam Einzelheiten erkennen, die verschlossenen, rachsüchtigen Gesichter, das Glitzern von Licht, das von den Waffen reflektiert wurde, die Jacken, gefüttert mit dem Pelz eines niedergemetzelten alten Eingeborenen, dem silberweißen Pelz eines Jungen. Seine Zähne formten einen Laut der Klage, der aus Erinnerungen, die nicht seine eigenen waren, emporstieg. Shemadans stöhnte leise, hob einen Fuß leicht an, als wollte sie fliehen, wenn sie nur könnte. Hinter ihnen stieß Pamello einen Fluch aus: „Schlächter …“
„Nein!“ – mehr zu sich selbst, als an die anderen gerichtet. „Wir können damit fertig werden, wenn wir nicht die Kontrolle über uns verlieren. Wir wußten, daß sie kommen würden. Und dieses Mal haben sie einen guten Grund, erschrocken und ärgerlich zu sein.“ Einen guten Grund. Er erinnerte sich an das Kith-Treffen vor drei
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