Bernsteinaugen und Zinnsoldaten
Kulturen gegeben. Wir könnten einen solchen Pakt schließen; zusammen könnten wir …“
„Halt’s Maul!“ bellte der Anführer der Meute und schwenkte sein Gewehr. „Ihr seid genauso schlecht wie diese gottverdammten Chitta-Zombies – schlimmer sogar! Wir müssen uns diesen Dreck nicht anhören. Wir brauchen keine Ratschläge von einer Bande sodomistischer Verrückter! Zerstört das Lager, brennt es nieder! Zerstört alles, auch das Hauptlager – laßt nichts übrig! Das ist es, was sie verdienen – laßt sie alle zusammen hier einfrieren!“ Mit seinen Armen gab er der Menge hinter ihm auffordernde Zeichen.
Als ob die Zeit sich plötzlich in sich selbst verkehrt hätte, sah Tarawassie/Basilione den Mob wie Wasser auseinanderspritzen, sah, wie Pamellos kleine Tochter einen runden, glatten Stein aufhob, ihn fest in die Hand nahm und warf – sah, wie er einen der Männer mitten ins Gesicht traf; Blut spritzte in die kristallklare Luft, sie hörte Shemadans verzweifelten Schrei: „Nein!“ Aber es war zu spät, viel zu spät. Wie in einem Alptraum sah er, wie die Gewehre in ihre Richtung geschwenkt wurden, doch er vermochte sich nicht zu bewegen, und es war zu spät, viel, viel zu spät, um davonzulaufen …
Tarawassie kam wieder zu sich. Sie saß zusammengekauert, den Oberkörper über die Knie gebeugt und schluchzte vor Schmerz. Langsam streckte sie sich, löste ihre über der Brust verkrallten Hände. Für einen langen Moment betrachtete sie ihre Hände, starrte ihr ausgebleichtes Kleid an. Aber es war nicht blutverschmiert … keine Wunden … sie würde ihr Leben nicht hier in dieser verlassenen Bibliothek aushauchen …
Ein leises, herzerweichendes Schluchzen drang an ihr Ohr, als endlich ihre eigenen Tränen versiegten. Mondschatten saß zurückgelehnt in seinem Stuhl, die Augen geschlossen, die Hände vor der Brust verschränkt.
„Mondschatten“, der Hauch eines Flüsterns, „was geschah mit uns? Was geschah? Sind wir – sind sie – alle gestorben? Alle?“
Seine Hand vollführte eine Geste der Verneinung. „Sie ich. Sie ich. Ich alles, auch sie …“ Mit einem langen Atemzug öffnete er die Augen.
„Aber sie wurden ermordet. Sie starben !“ Und es war so wirklich in ihr, von so erschreckender Realität, daß sie geglaubt hatte … Sie rückte nach vorn, die Arme verschränkt und auf die glatte Tischoberfläche aufgestützt. Langsam hob sich der dichte Nebel der Illusion und der Erinnerung und erlaubte ihr einen klareren, objektiveren Blick über die Ereignisse, deren Zeuge sie geworden war. Und plötzlich erkannte sie die wirkliche Bedeutung des Wortes Eingeborener . „Mondschatten – haßt du mich? Die Menge – das müssen meine Ahnen gewesen sein. Und alle Menschen – was sie deinem Volk angetan haben …“ Die Erinnerungen-in-den-Erinnerungen an all die Scheußlichkeiten stiegen erneut in ihr empor, so frisch und lebendig, wie sie sie miterlebt hatte, nach … fünfhundert Jahren. Sie war nicht in der Lage, diese ungeheure Zeitspanne verstandesmäßig zu erfassen. „Bin ich wie sie?“ Sie erinnerte sich ihrer eigenen Gefühle den Eingeborenen gegenüber, und ihre Züge verhärteten sich.
Mondschatten schüttelte den Kopf; er sah sie nicht an. „Du nicht wie sie, Sternenfrau. Du wie meine Ahnen. Du wie … wie ich.“
Basilione hatte sich nicht geschämt, denn der Verblendete war ein anderer Mann gewesen … „Ja“, sagte sie, „und … ich glaube, du bist mir ähnlicher als jeder, den ich kenne.“ Sie lächelte, als ihr die Bedeutung dessen bewußt wurde. „Nun … aber ich weiß noch immer nicht, was ich bin.“
„Du meine Freundin …“ Mondschattens Hand berührte seine Brust. Auch er lächelte. „Meine Kith-Schwester.“
Eine reine, unschuldige Freude erfüllte sie, als sie sich die tiefe Bedeutung dieser Worte vergegenwärtigte. „Was auch immer geschah“ – Schatten tanzten erneut hinter ihren Augen –, „geschah vor langer Zeit, mit deinem wie mit meinem Volk. Euer Chitta brachte meinem Volk den Untergang, das Ende. Dein Volk, das sind die Erben. Alles, was unser war, wurde dir hinterlassen, damit du erfährst, wie falsch sie daran taten, sich zu Richtern über euch aufzuschwingen.“
„Vielleicht.“ Mondschatten bewegte die Schultern, und die Perlen seiner Kette schepperten leise. „Oder vielleicht sie richtig entschieden, vorausgesetzt, wir niemals verändern. Wir leben hier lange Zeit, in Menschenstadt, aber niemand will Magie, niemand
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