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Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Titel: Bernsteinaugen und Zinnsoldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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ausgeliefert, die Kontrolle verloren, ebenso sein Selbstvertrauen, hatte selbst sein Ziel vergessen. Wie hatte das geschehen können, warum unterlief ihm dieser Fehler? Warum? Warum?
    Mondschatten erhob seinen Kopf von ihrer Schulter, leise weinend. Tarawassie atmete angesichts dessen, was sie in seinen Augen fand, erschrocken ein und erneut, als es wieder verblaßte. Endlich nickte er, seufzend, um ihr wieder ins Gesicht zu schauen. Sanft und behutsam plazierte sie ihre Hand erneut in seinem Beutel, stellte sich in ihren Gedanken den Augenblick der Kreuzigung ihres Freundes vor, versuchte ihm ihr eigenes Scheitern zu übermitteln, um nur ja zu verstehen, warum …
    Mondschattens Lippen entwand sich ein kurzer Ausruf – worauf es sich bezog, dessen war sie sich nicht sicher. Ihr Geist füllte sich mit den Erinnerungen an Schneller Springer – Schneller Springer, der Schamane, der überragende Geist, der Älteste der Alten, der alles Wissen in sich vereinigte, der über die Stichhaltigkeit oder Nutzlosigkeit des Gezeigten entschied. Schneller Springer, der eine absolute Stellung in den Augen jedes Wirklichen Menschen innehatte, das vollkommene Wissen verkörperte, selbst in Mondschattens Gedanken. Selbst angesichts des Wissens um die Richtigkeit seines Glaubens an seine Ahnen akzeptierte er die ominöse Gerichtsbarkeit Schneller Springers. Erneut wurde sie Zeuge der Anklage des alten Mannes, fühlte, wie Mondschattens Glaube sich gegen sich selbst wandte, ihn schwanken ließ. Und Schneller Springer hatte dieses Schwanken erkannt, und das genügte. Das erstarrte System, das er zu verändern getrachtet hatte, hatte ihn geschlagen, da er stets ein Teil dieses Systems gewesen war …
    Tarawassie unterbrach den Kontakt erneut, von einem heftigen Hunger befallen. Sie beugte sich nach vorn, um Mondschattens Vorratssack zu erreichen, zog ihn näher heran, und gemeinsam aßen sie schweigend die getrockneten Früchte und das Fleisch. Sie verschwendeten keine Energie durch Reden; vielleicht waren Worte nun für immer nutzlos.
    Mondschatten griff wiederum nach ihrer Hand – die andere nun, die nicht schmerzhaft verkrampft war – und ließ sie ihn erneut berühren, dieses Mal ohne furchtsames Zögern. In ihrem Kopf hallten ihre Pläne wider, die Sternenquelle zu betreten, ein Gefühl der Dringlichkeit, ein Verlangen … Ein Fragen, ob sie es wirklich versuchen würde, eine nach endgültiger Beantwortung rufende Dringlichkeit.
    Sie schüttelte verneinend den Kopf. Sie konnte nicht, sie wollte nicht; sie ließ all ihre unbeantwortbaren Fragen, alle Sorgen in seinen Verstand einströmen. Es gab keinen Nutzen, keine Notwendigkeit …
    Ein ärgerliches Knurren drang an ihre Ohren; sie öffnete die Augen und erkannte den Zorn in seinem Gesicht. Hartnäckig spiegelte er ihren Plan erneut in ihrem Geist wider, ihr Sehnen, ihren Wissensdurst, das Gesicht ihrer Mutter. Seine Sinne entfalteten sich, zeigten ihr eine fragmentarische Vision der Sternenmenschen-Kith-Brüder, die ihre Geheimnisse, ihre spezifischen Talente miteinander teilten. Er war der letzte, der letzte Kith-Bruder der Sternenmenschen, und sein Volk hatte die Erinnerungen seiner Ahnen zerstört. Wenn sie ihr Volk, die Menschen, nicht hierher zurückbrachte, um ihre Hoffnungen und Träume zu verwirklichen, dann waren seine Leiden umsonst gewesen. Nur in ihrer Macht lag es, seine Ahnen zu retten, sie in die Wirklichkeit seines Verstandes zurückzurufen. Sollte es ihr nicht gelingen, ihr Volk zurückzubringen, dann würde auch er sterben, für immer vergehen. Sie war seine Kith-Schwester, sein einziger Freund, und sie hatte es versprochen … versprochen …
    Erneut ließ sie ihre Zweifel antworten, zeigte ihm ihr Volk, verschwunden, vernichtet, wie die Ahnen es gefürchtet hatten, nichts wäre gewonnen …
    Ihr eigenes Gesicht spiegelte sich hinter ihren geschlossenen Lidern wider, sie war seine einzige Hoffnung, die einzige Hoffnung seiner Kith, die einzige Hoffnung aller …
    „Aber ich habe Angst!“ Sie trennte sich von ihm. „Ich fürchte mich um meiner selbst willen. Niemand sonst muß das tun, du nicht, sie nicht, niemand außer mir. Seid verflucht! Ich verfluche unser Volk – es wird niemals zu einem wahren Kontakt kommen; sie sind zu egoistisch, zu ängstlich! Und auch ich bin selbstsüchtig! Ich muß sicher sein, muß die Gewißheit haben, sonst werde ich niemals in der Lage sein, die Quelle zu passieren. Ich muß sicher sein, daß dies von allen Wegen der

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