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Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Titel: Bernsteinaugen und Zinnsoldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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Farbe, die Reinheit, die flüssige Klarheit. Diese Farbe ist nicht genau richtig, aber das spielt keine Rolle, denn ich kann mich nicht mehr daran erinnern, inwiefern. Dieser Himmel ist ein Sonnenfänger. Ein großer, blauer Parasol. Aber das war das Original auch, wo immer ich auch stand. Der Himmel ist ein blauer Parasol … ich frage mich, ob das schon mal jemand zuvor gesagt hat? Wenn jemand was weiß, vortreten …
    Hört mir jemand zu? Wird mir jemals jemand zuhören?
    („Wen kümmert das schon? Komm, Ozzie, klettre an Bord. Gehen wir runter ins Observatorium, während ich meine Meditationen mache, um mich zu erinnern, wie es damals war.“)
    Weems, verdammt, ich brauche meine Befriedigung!
     
    SONNTAG, DER 8.
    Dieser Armleuchter. Dieser unerträgliche Idiot – wie konnte er mir das nur antun? Nach all der Zeit – sollte man da nicht annehmen dürfen, daß er mich besser kennt? Mich zwölf Tage lang fragend und furchtsam warten zu lassen. Zwölf Tage jeder möglichen, dummen Paranoia, während ich mich hundeelend fühlte und mir die schlimmsten Schreckensbilder vorstellte …
    Und dann das. Gott, er muß eine Art von Sadist sein. Wenn ich ihn doch nur erreichen, ihn packen und so verletzen könnte, wie er mich in den vergangenen Stunden verletzt hat …
    Aber ich weiß, die Nachrichten sind nicht seine Schuld, und er will mich nicht damit verletzen – und daher kann ich meinen Schmerz nicht einmal dadurch lindern, daß ich ihn auf ihn projiziere.
    Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wäre die Botschaft zum Zeitpunkt ihres Eintreffens nicht schon sechs Tage alt gewesen. Was hätte ich getan, wäre ich in Hörweite des Gesagten gewesen? Was hätte ich gesagt? Wahrscheinlich auch nicht mehr, als ich tatsächlich gesagt habe.
    Was soll man schon sagen, wenn man erkennen muß, daß man sein ganzes Leben weggeworfen hat?
    Da saß er, hinter seinem alten Schreibtisch, spielte mit seinem Füller, legte das Mondgestein hierhin und dorthin – kurz, er sah aus wie ein Mann, der eine Zeitbombe im Schreibtisch hat, und sagte: „Keine Sorge, Emmylou, es wird keine Probleme geben.“ Das sagte er mindestens fünf Minuten lang in allen Tonarten, bis ich erbost schrie: „Was ist denn los, verdammt noch mal?“
    „Ich dachte, du würdest die fünf fehlenden Seiten überhaupt nicht bemerken.“ Mit seinem aalglatten Lächeln.
    Und während ich murmele: „Ich mag wohl schon seit zwanzig Jahren in Einzelhaft sitzen, Harvey, aber deswegen bin ich noch lange nicht verblödet“, sagt er: „Daher erkläre ich besser zunächst einmal …“ Und sein Gesichtsausdruck, oh, sein Gesichtsausdruck. „Hier fand ein biomedizinischer Durchbruch statt. Wenn du hier auf der Erde wärst … nun, die Immunreaktionen deines Körpers könnten … normalisiert werden …“ Dann senkte er den Blick, als könnte er tatsächlich meinen Gesichtsausdruck sehen.
    Normalisiert. Normalisiert. Mehr kann ich augenblicklich nicht hören. Ich wurde ohne natürliche Immunstoffe geboren. Kein Schutz vor Krankheiten. Keine Chance, dies zu ändern. Nein. Nein, nein, nein. Mehr habe ich mein Leben lang nicht zu hören bekommen. Durch die Plastik wände meines hermetischen Zimmers, durch den Helm meines hermetischen Anzugs … Und nun ist alles anders. Sie könnten mich heilen. Aber ich kann nicht zurück. Ich wußte, daß so etwas geschehen könnte. Ich wußte sogar bestimmt, daß es eines Tages geschehen würde. Aber ich hatte beschlossen, dieses Wissen zu ignorieren, und nun ist es zu spät, etwas daran zu ändern.
    Warum kann ich dann nicht vergessen, daß ich frei sein könnte …
    … Ich habe Weems heute nicht geantwortet. Zum Teufel mit Weems. Es gibt nichts zu sagen. Überhaupt nichts.
    Ich bin so müde.
     
    MONTAG, DER 9.
    Konnte nicht schlafen. Mußte immer und immer wieder daran denken … Schließlich nahm ich Tabletten. Den ganzen Tag geschlafen, scheußlich zumute. Dumm. Ging aber nicht weg. Es wartete auf mich, auch als ich wieder erwacht war.
    Das ist ungerecht …!
    Aber mir ist nicht danach zumute, darüber zu sprechen.
     
    DIENSTAG, DER 10.
    Schon Dienstag. Ich habe seit zwei Tagen nichts mehr getan. Ich habe noch nicht einmal etwas unternommen, um den Relaissender zu überprüfen – und das verdammte Ding muß diese Woche abgekoppelt werden. Ich habe keine Kraft mehr, ich kann mich kaum bewegen. Ich will nur hier sitzen. Aber ich muß wieder an die Arbeit zurück. Ich muß …
    Statt dessen las ich heute den ausgedruckten

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