Bernsteinaugen und Zinnsoldaten
…
Besonders über das Potential dieses Ortes war soviel zu lernen, bevor ich mich auf die große Reise begeben würde, wo ich alles verwerten konnte, wo ich meine wunderbar verstärkten und ausgedehnten Sinne einsetzen konnte … während ich immer noch problemlos mit meinem lieben Mentor, Dr. Weems, kommunizieren konnte. (Wer hätte sich träumen lassen, daß dieser närrische alte Bock, der mein Doktorvater in Harvard gewesen war, wo er mit den anderen Studenten über „die Entfernungen, die manche Mädchen zurücklegen, um ihre Jungfräulichkeit zu bewahren“, gescherzt hatte, ein Leben lang mein Begleiter werden würde?)
Da waren Ozymandias’ erste Worte … mein erster Geburtstag im All, mein erstes Jahr … und dann endlich meine Promovierung, die Urkunde vom Computer ausgedruckt, mit großen Buchstaben, die aus lauter kleinen „xxxxx“ bestanden …
Und dann Tag und Nacht und Nacht und Tag … die mich mit Blau und Schwarz schwarz und blau schlugen … mein fünftes Jahr, mein achtes, mein erstes Jahrzehnt. Ich ließ das Sonnensystem hinter mir, um wirklich und wahrhaftig zum ersten Reisenden im interstellaren All zu werden … Aber hier hatte ich bereits niemanden mehr, mit dem ich mich unterhalten konnte, der meine Erfahrungen mit mir geteilt hätte. Sogar die Radio- und Fernsehsendungen von der Erde wurden diffus und unverständlich, ich hatte immer weniger Kontakt mit der Wirklichkeit außerhalb. Die Routine, die dauernde Langeweile … bis ich manchmal schreiend durch die Korridore rannte, nur um mal etwas anderes zu erleben. Dann lauschte ich den Echos, die niemand jemals hören würde, und ich hoffte immer so sehr, daß jemand mich anrufen würde, um endlich einmal eine andere Stimme als meine eigene zu hören, die Echos meiner eigenen Stimme, oder den Worten von Ozymandias zu lauschen, die mich zu verspotten schienen.
(„Hallo, wunderbar. Das ist knorke. Hallo, hallo?“)
(„Ozymandias, bleib mir vom Leibe!“)
Aber ich hatte mir doch immer den Glauben an meine Mission bewahrt. Ich war nicht umsonst hier draußen, nicht nur aus meinen eigenen, egoistischen Gründen oder denen der NASA (oder wie das heute auch immer genannt werden mag), sondern für die Menschheit und die Wissenschaft. Mittels Meditation lernte ich erst den wahren Wert innerer Stille schätzen, und mit ihr konnte ich, durch Erschaffung eines Gefühls inneren Friedens, ein Einssein mit der Leere und Stille draußen erreichen. Ich glaubte, durch die Meditationen disziplinierter zu werden, denn ich stand in Kontakt mit mir selbst und der Seele des Kosmos … Aber ich war außerstande zu meditieren, seit … es geschah. Die innere Stille wird von den Schreien meines eigenen Zorns zerrissen, bis ich mich nicht mehr daran erinnern kann, wie friedliche Stille sich anhört.
Und was habe ich bisher schon entdeckt? Fast nichts. Nichts, was die Vergeudung meiner feinen Analysen oder meiner tollen Theorien gerechtfertigt hätte – oder meiner Freiheit! Der Weltraum ist leerer und verlassener, als man sich nur vorstellen kann, die Zahl selbst winzigster kosmischer Trümmer oder Planetoiden, die ich in all der Zeit passiert habe, könnte man an einer Hand abzählen … wie verlorene Seelen, die endlos durch ein unermeßliches Vakuum fallen … wie wir alle. Mit meinen absurd weitreichenden Meßinstrumenten habe ich die Entfernung bis zum NGC 2419 genau vermessen und damit Schätzungen über die Entfernungen weiter entfernter Objekte angestellt. Aber ich habe kein Schwarzes Loch entdeckt, das mit seiner Kraft selbst das Vakuum evakuiert, und auch keine unsichtbaren Wolken, die die ultralangen Wellen wie Nebel verbergen. Ich habe außerhalb der Erde kein Leben, auch nicht im weitesten Sinne des Wortes, aufspüren können. Und wenn ich nun zum Sonnensystem zurückblicke, dann kann ich keinerlei Anzeichen dafür feststellen, daß wir dort existieren. Ich kann lediglich noch elektromagnetische Geräusche vernehmen, wenn ich in die Leere lausche, aber keinen kohärenten Gedanken. Nur Weems in jeder zwölften Nacht, als wäre er der letzte lebende Mensch … Himmel, ich habe ihm immer noch nicht geantwortet.
Warum sich aufregen? Soll er ruhig ein bißchen schwitzen. Warum sich noch über irgend etwas aufregen? Warum sollte ich meine wertvolle Zeit vergeuden!
Oh, meine wertvolle Zeit … Ein halbes Leben verschenkt, das auf der Erde mir hätte gehören können. Zwanzig Jahre … ich habe sie wirklich hinter mich gebracht. Ich hielt mich
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