Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Titel: Bernsteinaugen und Zinnsoldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
Vom Netzwerk:
Artikel. Ich hoffte, einen Fehler zu finden! Wenn das nicht die größte Ironie meines Lebens ist. Zwei Jahrzehnte meines Lebens betete ich, daß jemand eine Heilmethode entwickeln würde. Zwei weitere Jahrzehnte war es mir völlig gleichgültig. Werde ich nun die beiden vor mir liegenden Jahrzehnte damit verbringen, die Tatsache zu verfluchen, daß sie gefunden wurde?
    Nein – ich werde mich selbst verfluchen. Ich hätte frei sein können, sie hätten mich heilen können. Wäre ich doch nur auf der Erde geblieben. Hätte ich doch nur die Geduld aufgebracht. Aber jetzt ist es zu spät – um zwanzig Jahre zu spät.
    Ich will heim. Ich will heim … Aber ich kann nicht mehr heim. Habe ich das wirklich so leichtfertig gesagt? Du kannst es nicht. Du, Emmylou Stewart. Du bist im Gefängnis, wie du immer im Gefängnis warst.
    Alles brach so unvermittelt und heftig über mich herein. Warum ich? Warum muß ich immer die Verliererin sein? Mein ganzes Leben lang konnte ich weder das Meer riechen noch Beeren von einem Strauch pflücken und essen. Noch die Küsse meiner Eltern auf der Haut oder den Körper eines Mannes spüren – denn für mich waren das alles tödliche Freuden.
    Ich erinnere mich, als ich noch ein kleines Mädchen war und wir in Victoria lebten – ich war drei oder vier Jahre alt, gerade an der Schwelle der Erkenntnis, daß ich die einzige Gefangene auf meiner Welt war. Ich sah meinem Vater zu, der morgens seine Schuhe polierte, bevor er ins Museum ging. Und ich hatte so offenherzig gelächelt: „Daddy … wenn du mich herauslassen würdest, könnte ich dir dabei helfen …“
    Er war zu meiner Plastikkuppel getreten, hatte die Arme in die Handschuhe gesteckt und ganz sanft „Nein“ gesagt. Dann hatte er zu weinen begonnen. Und ich ebenfalls, weil ich nicht wußte, womit ich ihn so unglücklich gemacht hatte …
    Und dann die Kinder in der Schule mit ihren Scherzen über den „Raumfahrer“, die auf den Freak gezeigt hatten, dauernd dieselben dummen Fragen, gestellt von taktlosen Zeitgenossen, wann immer ich hatte ausgehen wollen … oder, noch schlimmer, die Fragen derer, die weder dumm noch unwissend gewesen waren … etwa Jeffrey … nein, ich will nicht an Jeffrey denken! Damals durfte ich auch nicht an ihn denken. Ich konnte mich niemals mit einem Mann einlassen, denn ich hätte ihn niemals berühren können …
    Und nun ist es zu spät. Kontrollierte ich mein Schicksal, als ich mich freiwillig zu dieser Mission meldete? Oder lief ich einfach nur vor einem Leben in ständiger Hilflosigkeit davon? Hilflos, den Dingen zu entkommen, die ich haßte, hilflos zu umarmen, was ich liebte?
    Ich gab vor, das hier wäre anders und bedeutend – aber glaubte ich das wirklich? Nein! Ich wollte ganz einfach in ein Loch kriechen, aus dem ich nicht mehr herauskommen konnte, weil ich solche Angst hatte.
    Solche Angst davor, daß ich eines Tages meine Plastikwände zerschneiden könnte, meinen Anzug ablegen, um die Luft zu atmen, in einem Bach zu waten oder Fleisch an meinem Fleisch zu spüren … und daran zugrunde zu gehen.
    Daher habe ich mich freiwillig in diese hermetisch abgeschlossene Gruft verbannen lassen, lebendig begraben. Eine vollkommen sterile Umwelt, in der mein Körper nicht einmal verfallen wird, wenn ich gestorben bin. Ich habe niemals richtig gelebt und werde auch niemals richtig sterben, Staub zu Staub. Eine vollkommen sterile Umwelt, im wahrsten Sinne des Wortes.
    Ich betrachte oft meinen Körper im Spiegel, wenn ich geduscht habe. Mandelförmige Augen, braunes Haar in dichten Strähnen, kaum grau, und eine gute Figur, nicht gerade wie ein Revuegirl, aber auch nicht unattraktiv. Und niemand hat ihn außer mir je so gesehen.
    Letzte Nacht hatte ich wieder diesen Traum … Dabei hatte ich ihn jetzt schon so lange nicht mehr … Dieses Mal saß ich auf einem geschnitzten Holztier im Park, es war neben dem Provincial Museum in Victoria, aber ich war kein Kind mehr. Ich war eine Studentin in weißen Shorts und mit einer Baumwollbluse. Ich spürte die Sonne auf den Schultern und Jeffreys Arme um meine Taille … Wir gehen Hand in Hand an der Bucht entlang, unter dem Schein der viktorianischen Lampen mit ihren hängenden, leuchtenden Blumenkörben, und ich verhalte mich ungezwungen und spontan und ganz der Laune des Augenblicks überlassen. Aber wie immer, wenn er mich in den Armen hält, wenn es kurz bevorsteht, daß wir … dann erwache ich.
    Wenn wir sterben, erwachen wir dann endlich aus der

Weitere Kostenlose Bücher