Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
vorbeizischte.
Dies gab den Ausschlag.
All ihre Lebensgeister kehrten zurück.
Hastig warf sie sich hinter die Staffeleien, die ihr am nächsten waren und die Längsseite der Lagerhalle einnahmen. Eine Galerie. Geschickt versuchte sie, Sina in die Irre zu führen. Huschte von einer Leinwand zur Nächsten.
Während sie sich bis zur hinteren Querseite des Saales durchkämpfte, durchschlugen die Geschosse die Kunstwerke hinter ihr und verursachten dabei hässliche Geräusche.
Wenn sie Glück hatte, würde Sina, bis sie bei ihr war, alle Bolzen verschossen haben.
Das Ende war erreicht.
Und nun?
Yves Atem ging schnell und unregelmäßig, angespannt hockte sie hinter der letzten Leinwand.
Auf der gegenüberliegenden Seite herrschte Stille.
»Yve.« Sina irgendwo hinter der Druckmaschine.
» Sina.«
» Komm her, lass uns reden.« Eine aufrichtige Bitte?
» Nein.«
» Vertraust du mir etwa nicht?«
» Du hast auf mich geschossen!« Yve war bereit zu vergeben, aber nicht lebensmüde.
» Es tut mir leid.« Sie hörte, wie jemand etwas Schweres fallen ließ. Vermutlich die Armbrust. »Bitte. Sei unbesorgt. Du weißt wie ich bin, Yve.« Das stimmte. Sina hatte es nicht leicht mit ihrem Makel. Oft tat sie Dinge, die sie später bereute – an denen sie nicht einmal die Schuld trug. Möglicherweise handelte es sich diesmal um einen dieser Ausrutscher.
Doch Yve war sich keinesfalls sicher. Dennoch … »Gut, ich komme rüber.«
Behutsam versuchte sie, ihre Muskeln zu entspannen, doch es wollte ihr nicht recht gelingen. Ihr Körper blieb in Alarmbereitschaft.
Trotzdem wagte Yve sich hinter der Leinwand hervor. Hielt geradewegs auf die Druckmaschine zu, hinter der sie bereits den schwarzen Schopf ihrer Freundin ausmachen konnte.
Als sie sie fast erreicht hatte, zuckte sie überrascht zurück.
»Ah!«, schrie sie auf, als etwas Hauchdünnes, Dunkles auf sie zugeflogen kam. Und soviel zu Frauen. Weitaus heimtückischer als Männer jemals sein könnten… Es traf sie in den Hals und brachte sie dazu, panisch nach Luft zu ringen. Doch dabei blieb es.
Zwei Sekunden hielt sie irritiert inne, genau die zwei Sekunden, die auch Sina zögerte, doch Yve fing sich schneller. Mit rasanter Geschwindigkeit machte sie einen Satz um die Druckmaschine herum, stoppte direkt vor ihrer Freundin, die ein Blasrohr in den Händen hielt, und entriss es ihr.
Sina hob die Hände, um sich zu schützen.
Das half ihr allerdings nicht gegen den Tritt in den Magen, den Yve ihr nun verpasste. Nach Luft schnappend klappte Sina der Länge nach zusammen, wobei es ihr irgendwie gelang, sich auf der Druckmaschine abzufangen.
Die Tränen fort blinzelnd, sah sie sich plötzlich Yves Degen gegenüber.
» Sieh mal einer an! Du hältst dich wohl für ganz schlau?«
» Es ist nicht wie du denkst!«
» Ach wirklich?«
» Ja! Ich wurde gezwungen…wenn ich es nicht getan hätte, dann...«
» Dann?«
Yve ließ die Spitze des Degens zu Sinas Kehle hinab wandern.
»Ich…gut, ich gebe es zu.« Die kleine Schwarzhaarige brach in Tränen aus. »Nur bitte, lass mich leben!«
» Nachdem du versucht hast, mich umzubringen?«
» Yve, wir waren doch immer gute Freundinnen! Weißt du das nicht mehr? Wie Schwestern! Willst du das alles in einem unbedachten Moment auslöschen?«
» Du sagst es. Wie Schwestern waren wir und bedeutet hat dir das offenbar nichts! Andernfalls stünden wir nun nicht hier.«
» So mag es dir vorkommen, aber dem ist nicht so. Ich wollte immer nur das Beste für dich! Ich verriet unseren Stützpunkt den Wachen, um dich zu schützen! Ich wollte nicht, dass sie dich schnappen, oder dass du bei deiner nächsten Protestaktion verhaftet wirst! Verstehst du das nicht?«
Yve schüttelte voller Verachtung den Kopf . »Du hinterhältiges Miststück.«
Die Degenspitze drückte sachte gegen die makellose Haut und hinterließ dort einen rot en Blutstropfen.
» Bitte! Du musst mir einfach glauben! – Hast du deine Drogen nicht genommen, oder wo ist dein Verständnis, dein Mitgefühl, dein Mitleid? Ich weiß doch, dass du für gewöhnlich nicht so bist!« Sinas Gesicht wurde kalkweiß und der kalte Schweiß stand ihr auf der Stirn.
»Ich habe sie nicht vergessen. Deswegen weiß ich auch ganz genau, dass du mir direkt ins Gesicht lügst.« Sie ließ die Klinge am Hals ihrer Freundin hinabgleiten, was diese spitz aufkreischen ließ. Doch Yves Hand begann zu zittern. Ich kann das nicht. Ich kann es einfach nicht. » Tut das etwa weh?
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