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Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)

Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)

Titel: Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marnie Schaefers
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auf einen Einschnitt in der Häuserzeile zu.
    Keinen Moment zu früh!
    Schon knirschte seine Wirbelsäule und begann sich gegen ihre gewöhnliche Stellung wie bei einem Tier zu krümmen. Keuchend vor Schmerz grub er die zu Klauen gewordenen Fingernägel in die Ziegelsteine in seinem Rücken, murmelte Verwünschungen und konzentrierte sich mit aller Macht darauf, die Bestie in seinem Inneren zu bezähmen.
    Nach einer gefühlten Unendlichkeit gelang es ihm, die Verwandlung zurückzudrängen.
    Kreischend rückten seine Knochen zurück in ihre übliche Position. Schweißnass sackte er, von der unmenschlichen Anstrengung erschöpft, in sich zusammen. 
    Die Zeit lief ihm davon, verdammt…
    Mit einem Ruck erhob er sich.
    Begutachtete prüfend die Hauswand. Dann begann er sich , ohne große Schwierigkeiten, an der ebenen Oberfläche hinaufzuhangeln. Schließlich schwang er sich in einer einzigen Bewegung auf das Flachdach. Sah sich um. Das unmögliche Kunststück hatte ihn kaum aus der Puste gebracht.
    Langsam ließ Vlain den Blick zu seinen grotesken Händen wandern. Er schob den Gedanken an Umstände, die sich nicht ändern ließen, niemals ändern lassen würden, beiseite und rannte los.
    Gigantische Sprünge beförderten ihn von einem Dach zum nächsten. Er bewegte sich unmenschlich schnell.
    Nach nur wenigen Minuten hatte er sein Ziel erreicht. Die weiße Zitadelle, bestehend aus einem kleinen Türmchen und einer länglichen Halle, baute sich unter ihm auf.
    Bereits hier konnte er die wehklagenden Lieder der Trauernden vernehmen.
    Mit einem Satz sprang er vom Dach hinab. Zu seiner Erleichterung hatte der Anzug keinen Schaden genommen.
    Die Hände in den Hosentaschen vergraben, huschte er aus dem Schatten der Gasse und hielt auf die Zitadelle zu. Möglichst leise drückte Vlain die eine Seite der Doppeltür nach innen.
    Zu seiner Erleichterung drehte sich kaum einer der Anwesenden zu ihm um.
    Auf leisen Sohlen schlich er zu einem Platz in der hintersten Sitzreihe hinüber. Mit verschränkten Armen lehnte er sich in der Kirchbank zurück. Jetzt galt es, Ausschau nach seiner Zielperson zu halten.
    Am Rande bekam er mit, wie einige alte Frauen, die vor ihm saßen, kopfschüttelnd über ihn zu tuscheln begannen.
    Nachdem die letzten Klagelieder verhallt waren, standen die ersten Gäste auf und verließen das Gotteshaus. 
    Vlain betrachtete sie nur oberflächlich. Seine Aufmerksamkeit ruhte bei jenen Personen, die zum Sarg hinüber gingen und Blumen oder Kränze dort ablegten. Einige, die an ihm vorüber zogen, hatten Tränen in den Augen, andere schluchzten laut vor sich hin. Alle waren sie dunkel und schlicht gekleidet, einige der hochgeborenen Ladys verdeckten ihre Gesichter mit schwarzen, seidenen Schleiern.
    In diesem Moment war er ehrlich froh, dass er den Verstorbenen gar nicht gekannt hatte.
    Er wusste sehr gut, was es hieß, einen geliebten Menschen zu verlieren.
    Während die Zitadelle sich leerte, erhob er sich und machte sich gemächlichen Schrittes auf den Weg nach vorne. Je näher er dem Sarg kam, desto heftiger begann sein Herz zu schlagen.
    Wieso war er so aufgeregt? Was erwartete er?
    Im Schatten einer Säule verharrte er einen Augenblick.
    Da entdeckte er sie.
    Und Vlain war mehr als ein wenig überrascht. Als er merkte, dass ihm der Mund offen stehen geblieben war, schloss er ihn hastig. Er hatte mit einem Gefühl von Hass gerechnet, doch nun war da nichts als…Sympathie. Man hatte ihm gesagt, er habe es mit einer einfachen Ärztin zutun; einer Frau ohne Rang. Demnach hatte er angenommen, dass sie bestenfalls durchschnittlich aussähe. Nicht, dass er ein oberflächlicher Mensch war, aber wenn sie eine ungeschlachte, grobe  Frau gewesen wäre, hätte es die ganze Sache erleichtert.
    Stattdessen präsentierte sich ihm eine kleine, zierli che, hübsche Frau Mitte zwanzig mit langen blonden Locken, einem schmalen Gesicht, einer schlanken Figur und tiefen blaugrauen Augen. Wenn er genau hinschaute, konnte er schwache Sommersprossen auf ihren Wangen erkennen; etwas das ihm ausgesprochen gut gefiel.
    Sie trug ein schwarzes weitfallendes Kleid, darüber eine Strickjacke und eine ebenfalls dunkle Strumpfhose. Dazu flache Schuhe.
    Es fiel ihm nicht leicht, sich einen weiteren Moment zu gedulden.
    Er wartete, bis der letzte Trauergast sich bei seiner Zielperson verabschiedet und ihr sein Beileid bekundet hatte. Es war der Priester, der schließlich gemeinsam mit seiner Zielperson zurückblieb.
    Vlain stutzte.

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