Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
Blumengartens durften die Juden benutzen. Die Orthodoxen konnten in der herrlichen Barockkirche ihre Feiertage begehen. Frau Liebmann wickelte einen Chanukkaleuchter aus. »Wie es sich jüdelt, so christelt es sich auch«, sagte sie versöhnt.
Gleich am Abend der Ankunft im Büro der Lagerleitung begegnete Therese Else Behrend-Rosenfeld, der Fürsorgerin der jüdischen Kultusgemeinde Münchens, die in der Heimanlage für die Wirtschaftsführung und die Betreuung der Frauen zuständig war. Therese sah die Frau mit der randlosen Brille, die alle Ankommenden begrüßte, als seien sie die einzigen, um die sie sich zu kümmern habe. Sie versprach Therese sofort, daß sie versuchen wolle, die Großmütter Suttner und Rheinfelder nach ihrer Ankunft, gemeinsam mit Therese, Sybille, Mutter und Valerie, in einem Raum unterzubringen.
Therese entschuldigte sich bei Else Behrend-Rosenfeld, daß ihre Familie bislang der jüdischen Kultusgemeinde ferngestanden war. Es erschien Therese inzwischen tatsächlich als ein Verlust, ein Versäumnis. Erst jetzt spürte sie, wie ermattet sie war von dem jahrelangen Zustand des Versteckspiels, des Arierspiels. Wie hatte sie diese würdelose Anbiederung nur aushalten können?
Das Zimmer, das Thereses Familie dann angewiesen wurde, gehörte zu den größeren Räumen im Haus, und sie hatten Glück: Else Behrend-Rosenfeld schaffte es, daß alle Frauen der Familie Suttner-Rheinfelder in einem Raum untergebracht wurden. Eng war es, da auch die Liebmanns ihren Platz beanspruchten, und Valerie Rheinfelder, die Ältere, begann auch gleich zu schimpfen. Drohend hob sie ihren Krückstock in Richtung Fenster, nach draußen, wo die Nazis in den enteigneten Villen saßen und sich das von den Juden erarbeitete Vermögen gutschreiben ließen. Besondersdie kleine Valerie beobachtete erstaunt die Temperamentsausbrüche ihrer Großmutter. Und Therese bezweifelte zum erstenmal, ob es wirklich ein Segen war, mit den Großmüttern in einem Raum zu leben. Endlich jedoch schliefen alle. In der Küche des Heims hatte es eine sehr gute Gemüsesuppe gegeben. Für viele das erste Essen dieses Tages.
Therese stand am Fenster und sah in den Klosterhof, wo Nonnen in schwarzen Kleidern mit weißen Flügelhauben nebeneinander gingen, die Hände in die weiten Ärmel ihrer Tracht gesteckt. Therese konnte das Schiff der Barockkirche sehen und dahinter sogar die Bergketten der Alpen. Es war ein klarer, föhniger Sommerabend. Und Therese dachte, daß mit diesem Tag ein neuer Abschnitt im Leben der Familie Suttner-Rheinfelder begann. Ein Leben, das sie zurückführte zu Abraham, Isaak und Jakob, von denen sie stammten, ob es ihnen nun recht war oder nicht.
Das Kloster in Berg am Laim füllte sich immer mehr. Ein Haus voll Aufregung, Demütigungen, Trennungsschmerz, Schwerarbeit, Müdigkeit, Verzweiflung und Streit. Vor allem Valerie Rheinfelder die Ältere, wie Therese ihre Schwiegermutter nur noch nannte, beäugte mißtrauisch die Liebmanns. Mutter, Tochter und Tante. Leons Mutter schien von dem Gedanken verfolgt zu sein, daß alle Leute im Lager nichts Besseres zu tun hätten, als sie, Valerie Rheinfelder, zu ärgern. Sybille sprach nur noch von Ihrer Merkwürden oder von Schwester Nichtsnutzia. Je nachdem, wie Leons Mutter sich wieder aufgeführt hatte. Ihr Mann, Großvater Rheinfelder, saß im ersten Stock und betreute Großvater Suttner, der – früher ein schöner alter Herr – nach dem Tod seines Sohnes wie erloschen umherging und kaum noch etwas wahrzunehmen schien. Leons Vater war offenbar heilfroh, seiner Frau entronnen zu sein. Er entdeckte an sich ein ihn selbst überraschendes Talentzu allen möglichen Reparaturarbeiten. Er war rasch integriert in das Hilfspersonal, das Else Behrend-Rosenfeld bei ihrer vielfältigen Arbeit half. Und er verstand es, Großvater Suttner mit einzubeziehen, der langsam aus seiner Erstarrung erwachte. Gemeinsam mit dem Hauptlehrer Arnold, einem streng orthodoxen Juden, erledigte Großvater Suttner alle möglichen schriftlichen Meldungen und Mitteilungen, die von der Gestapo und der Partei fast täglich verlangt wurden. Ein kleiner, blasser Herr, der Erbauer des Deutschen Museums, half ihm dabei. Auch Sybille fand einen Bekannten im Garten des Klosters. Es war der Rabbi Doktor Bruno Finkelscherer, ein Arzt, den sie in der jüdischen Schule kennengelernt hatte. Hier im Lager arbeitete er als Gärtner. Else Behrend-Rosenfeld war sich darüber klar, daß die Selbstverwaltung des Lagers
Weitere Kostenlose Bücher