Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
sich fürchteten, weil sie nicht wissen, daß ihnen nichts passieren könne. Später hörte Therese, wie Valerie Sybille fragte, ob sie Angst habe vor dem Gewitter. Sybille gab zu, daß sie sich fürchte. Aufgeregt kam Valerie zu Therese. »Mama, die Sybille ist ein Tier. Sie fürchtet sich vor dem Gewitter.« Panische Angst dagegen hatte Valerie, wenn die Sirenen ihre schrillen Stimmen zum Fliegeralarm erhoben. Valerie wollte dann unter keinen Umständen in den Keller gehen. Seit sie Keuchhusten hatte, glaubte sie, in den niederen Gewölbenersticken zu müssen. Alle trösteten Valerie. Versprachen ihr, daß keine Bombe das feste Haus zerstören könne.
Doch als am Morgen nach dem Gewitter das Zahnarztehepaar kam, als die beiden durch die Räume schritten, wie durch ihren angestammten Besitz, da hätte Therese eine Bombe auch auf ihr Elternhaus herabflehen mögen.
Es war ein Sonntag. Therese hatte mit Sybille und Valerie den Frühstückstisch gedeckt. Sie warteten auf den Vater, der im Keller Holz zum Feuern des Küchenofens hackte. Der Mann schellte. Es klang wie ein Befehl. Und zackig knallten auch seine Stiefel, während die Frau danebenstand in mickriger Ergebenheit. Das Ehepaar war eine Beleidigung für den Salon, dessen Fenster zum Park hin geöffnet waren. Der Morgenwind bauschte leicht die Vorhänge. Das Parkett und der Lack des Flügels glänzten im Licht. Jetzt wendete sich der Zahnarzt jovial an Therese, tätschelte ihre Wange und ließ sie wissen, daß das Haus wirklich in einwandfreiem Zustand sei. Lobenswert. Der hatte doch tatsächlich Mundgeruch, und feine Tröpfchen aus seinem Mund trafen Therese. Sie wandte sich ab, um nicht zu erbrechen.
Seine Frau, eine nervöse, magere Person mit dünnem Haarzopf, lief wie ein Zwergschnautzer neben oder hinter ihrem Mann her und applaudierte zu allem, was er sagte. Sie schien ihm dankbar, daß sie trotz ihrer Häßlichkeit seine Zahnarztfrau sein durfte, und jetzt verschaffte er ihr auch noch dieses Haus.
»Sie müssen nicht vorher renovieren«, sagte der Zahnarzt jetzt wieder gönnerhaft, »Sie wissen, daß wir darauf bestehen könnten. Aber wir sind keine Unmenschen. Doch als Ausgleich bitten wir um Überlassung des kompletten Inventars, einschließlich Silber, Gläser und Wäsche.«
»Sie kriegen alles, alles, alles. Aber jetzt entschuldigen Sie mich.«
Therese suchte ihre Mutter, Sybille und Valerie. Sie hatten Therese mit dem Ehepaar alleingelassen, waren in den Garten geflüchtet, wo Sybille für Valerie einen Haarkranz flocht, so üppig, als wolle sie noch einmal alle Blumen des Gartens verschwenden. Vater, aus dem Keller kommend, hatte das Ehepaar auch noch begrüßen dürfen. Ohne ein Wort oder einen Blick ging er in sein Arbeitszimmer. Auch Mutter stand auf und wollte das Zimmer verlassen. Beide hielten sich für endgültig besiegt und wollten ihre Niederlage nicht einmal miteinander teilen.
Doch Therese rief die Mutter zurück: »Mama, wir sollten wenigstens ein paar Schmuckstücke mitnehmen.«
»Das hat doch keinen Sinn mehr, und es ist verboten.«
»Mama, willst du denen wirklich alles überlassen?« Die Mutter winkte ab, sagte, daß Therese allein entscheiden solle. Ihr sei das gleichgültig.
Sybille reagierte ebenfalls uninteressiert. »Schmuck einnähen? Wir müssen doch alles abliefern. Wenn die den finden, sind wir dran.«
Therese erklärte ihr, daß noch nicht alles verloren sei. »Ich hab Mamas Glassammlung schon längst ausgelagert. Den blauen Hochzeitspokal aus Murano, das Kelchglas, die Kaffeekanne, das Rubinservice, den Truthahn. Alles hat Anni untergebracht. Unsere Ofnerstühle sind in Pasing zum Beizen. Die beiden Spitzwegs hat Frau Klaes in der Magdalenenstraße zum Restaurieren.«
»Na ja, wenn du meinst.« Sybille war nicht beeindruckt. Ihr voller Mund verzog sich bitter. War sie jetzt durch den Verlust des Hauses ebenso besiegt wie die Eltern? Therese sah ihre Schwester an. Wie schön Sybille war. Trotz der Schwerarbeit im Eisenbahndepot sah sie aus wie das stolze Spanien. Das hatte Anni einmal gesagt, die noch niemals inSpanien gewesen war. Therese auch nicht, aber sie wußte, daß Anni recht hatte. Sybilles Augen, weit auseinanderstehend, waren dunkelbraun, vielleicht sogar schwarz. Aber immer wirkten sie so, als wisse Sybille alles.
Als sie noch sehr klein war, vielleicht drei, kam einmal Onkel Julius zu Besuch, Mutters Bruder. Er sah seine Nichte und schrie entzückt: »Sie sieht ja aus, als hätte sie schon drei
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