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Beschuetz Mein Herz Vor Liebe

Beschuetz Mein Herz Vor Liebe

Titel: Beschuetz Mein Herz Vor Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Asta Scheib
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Vater fast verächtlich sagen: »Als ob irgend jemand so alten Leuten wie euch was antun würde, das ist doch lächerlich.«
    Und heute? Vater war tot, und seine Familie rückte in der letzten Minute eng zusammen. Alle streichelten einander, küßten sich und weinten. Und die Reisefertigen versprachen, sofort nach Ankunft in Theresienstadt zu schreiben. Warum, dachte Therese verzweifelt, drängt man erst zueinander, wenn es schon zu spät ist?
    In der Nacht gab es eine große Unruhe im Zimmer. Anita Liebmann, die auch zur Deportation reisefertig war, ging auf die Toilette und kam nicht zurück. Als ihre Tochter sie suchte, hing sie an dem Gürtel ihres Bademantels. Außer Anita Liebmann hatten noch sechs weitere Heiminsassen Wege gefunden, aus dem Leben zu gehen.
    Am nächsten Morgen, als Therese, Sybille und Mutter zur Arbeit gingen, fuhr der große Bus mit dem Gepäckanhänger auf den Hof. Obersturmbannführer Muggler stand breitbeinig neben dem Bus. Hauptsturmführer Wegner und noch einige Parteileute scharten sich um ihn, der regelmäßig in die Heimanlage zur Revision kam und wahrscheinlich die Listeder zu Deportierenden zusammengestellt hatte. Die Parteibonzen lachten. Wahrscheinlich freuten sie sich auf das Schauspiel, das die Angst und das Leid der auseinandergerissenen Familien ihnen bieten würden.
    Therese spürte, wie ihr das Herz bis in den Hals hämmerte. Wut, Hilflosigkeit und Ohnmacht ließen ihr kaum Luft zum Atmen. Und dann kamen sie. Und einer der Parteibonzen schrie höhnisch: »Nacheinander im Gänsemarschmarsch!« Und die anderen lachten. Doch dann sahen sie begierig auf die Juden, fast alles ältere Männer und Frauen, wie sie ruhig herauskamen. Niemand mehr, der weinte oder schrie. Sie trugen ihr Gepäck. Viele Paare hielten sich an den Händen, so wie die Großeltern Suttner, die Else Behrend-Rosenfeld zunickten und dann zum Bus gingen. Sie schienen unantastbar in ihrer schlichten Würde. Gut angezogen und gepflegt, wie für eine Ferienreise, für ein gesellschaftliches Ereignis. Sie sahen nur einander. Für die Nazis hatten sie keinen Blick. Anders Valerie Rheinfelder, die, auf ihren Stock gestützt, das Haus verließ und grimmig hoheitsvoll, einen Spitzenschal um ihr dichtes, eisgraues Haar geschlungen, zum Bus ging. Vor dem Einstieg blieb sie stehen, reckte ihren Stock gegen die Gruppe der glotzenden Nazibonzen und stieg ein.
    Es war, als hielten für einen Moment alle, die sich im Hof befanden, den Atem an. Therese sah, daß der Obersturmbannführer Muggler hochrot anlief, daß seine Hand zuckte. Doch nichts geschah. Alle Juden stiegen in den Bus. Die Nazis beschränkten sich darauf, »schneller, schneller« zu brüllen. Das Tor der Klostermauer wurde geöffnet, und dann fuhr der Bus aus dem Hof hinaus. Unter dem Gebrüll der Nazis, die jetzt alle Umstehenden vom Platz scheuchten, ging Therese mit Mutter und Sybille rasch weg. Auf der Straße hinter der Mauer drängten sie sich weinend aneinander.
    Mutter und Sybille gingen in die Baumkirchner Straße, Therese hatte die weite Strecke nach Sendling vor sich. Sie sah sich um und zog dann rasch ihre Jacke mit dem Stern aus, zog die leichte Strickjacke, die sie darunter trug, über die Jacke mit dem Stern und machte sich auf den Weg zur Trambahnhaltestelle. Nicht jeden Tag hatte sie den Mut dazu, aber heute war sie voller verzweifelter Wut. Und wenn Leons Mutter den Nazis mit ihrem Krückstock drohen konnte, dann wollte Therese wenigstens die Gebote ab und zu einmal übertreten.
    In diesem Moment sah sie Tilda auf sich zukommen. Tilda Schwerin war eine Verwandte Thereses. Sie war mit Leo Schwerin, Mutters Cousin, einem jüdischen Anwalt, verheiratet. Tilda selbst war Arierin. Therese wußte, daß sie völlig unbeeindruckt war von den Rassengesetzen. Unbesorgt hatte sie in der jüdischen Familie ihres Mannes verkehrt. Ihn in die Synagoge begleitet. Am Eingang hatte sie einmal ein SA-Mann angerempelt: »Schämen Sie sich nicht, als Deutsche mit einem Juden in die Synagoge zu gehen?«
    »Ich würde mich nur schämen, wenn ich mit Ihnen hineinginge«, hatte Tilda geantwortet. Und in den nächsten Tagen wartete die Familie zitternd, daß Tilda zur Rechenschaft gezogen würde. Doch nichts war passiert.
    Jetzt kam die leichtsinnige Tilda auf Therese zu, obwohl die ihr zurief, nur ja weiterzugehen. Sie wisse doch, daß sie sonst Schutzhaft riskiere. Doch Tilda ging immer zwei Schritte schräg hinter Therese, wobei sie wie suchend in ihrer Tasche

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