Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
Warum sagte keiner laut »Nein« zu Hitler, wo es doch so viele dachten. Auch diese Frau hier, das spürte Therese, beschützte sie, so gut sie es eben konnte, vor den Nazis. Und plötzlich hatte Therese doch wieder Hoffnung, daß auch Valerie von jemandem beschützt würde. Kinder haben doch Schutzengel. Auch ungetaufte Judenkinder haben doch Schutzengel. Mutter und Sybille waren in Passau vielleicht schon in Sicherheit. Vielleicht würden sie einander doch wiedersehen, auf wundersame Weise, an irgendeinem Ort. Goethe hatte gesagt, wenn ein Wunder in der Welt geschieht, geschieht es durch liebevolle, reine Herzen.
Hätte Therese einen Gott, würde sie ihm einen Handel anbieten. »Wenn du, Gott, einen Menschen mit reinem, liebevollem Herzen dazu bestimmst, Valerie zu beschützen, dann werde ich für den Rest meines Lebens nur noch anderen Menschen dienen.«
Die Frau fragte Therese nicht, wohin sie wolle. Sie bot ihr an, doch noch eine Nacht zu bleiben. Wie gern hätte Therese zugesagt, doch sie wagte es nicht um der Sicherheit dieser Frau willen. Natürlich wäre sie am liebsten in diesen rot-weiß gewürfelten, üppigen Kissen und Decken liegengeblieben. Alles schien Therese leichter, als zu Annis Polizistenfamilie zu gehen und die Erpressung fortzusetzen, die Anni wohl angewandt hatte, um Thereses willen. Doch hatten die Lechners inzwischen mit Sicherheit Anni in München aufgesucht, und sie wußten jetzt, daß Theresein Wiesham war. Wohl oder übel warteten sie jetzt auf Therese.
Leise und vorsichtig brachte die Frau Therese nach unten. Sie ging mit ihr durch den Hinterausgang in den Wirtsgarten und ließ Therese durch ein Türchen hinaus. Für einen Moment ließ Therese ihren Kopf gegen die Schulter der Frau fallen, die Therese leise durchs Haar strich. »Danke«, sagte Therese und »Ist schon gut«, antwortete die Frau. Als Therese auf die Straße trat, hörte sie nochmals die Stimme der Frau, »Auf Wiedersehen«, rief sie halblaut. Und Therese rief »Ja« zurück. Und in diesem Moment wünschte sie sich schmerzlich, daß sie dieser Frau wieder einmal begegnen möge.
Für einen Julitag war das Wetter kühl, es regnete leicht. Thereses langer Mantel und der Schleierhut waren daher nicht allzu befremdlich. Außerdem, so dachte Therese, habe die Gestapo bei diesem Wetter vielleicht nicht so viel Lust zum Judenfangen, und Therese würde die wenigen Meter bis zur Gendarmeriestation als arische Kriegerwitwe glaubwürdig erscheinen. Die wenigen Leute, die Therese begegneten, sahen sie zwar aufmerksam an, aber sie schienen eher respektvolle Distanz einzuhalten. Ihr Interesse an Therese ging sicher nicht über das hinaus, was man allen Ortsfremden entgegenbrachte.
Wieder klingelte Therese bei der Gendarmeriestation. Diesmal öffnete der Polizeihauptwachtmeister Kaspar Lechner das Fenster, um es sofort wieder zu schließen. Sekunden später machte er Therese die Tür auf. Kaspar Lechner sah seiner Schwester Anni überraschend ähnlich. Das gleiche gelockte dunkle Haar, dunkle lebendige Augen, bräunliche Gesichtsfarbe. Therese hatte Kaspar Lechner in früheren Jahren bestimmt schon gesehen, wenn sie mit Anni in deren Elternhaus in Steinbach gewesen war. Doch sie hätte sich nicht mehr an Kaspar erinnern können.
»Also des san Sie«, sagte Kaspar Lechner jetzt unfroh. Und Therese verstand seine Stimmung. Damit er wenigstens sehen konnte, daß es in der Tat Therese war, nahm sie den Schleier ihres Hutes hoch. Für einen Moment sah Kaspar sie an. Sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Dann trat er zur Seite, räusperte sich und murmelte: »Kommen S’ rein.« Er komplimentierte Therese an sich vorbei und ging dann doch rasch vor ihr die Treppe hinauf. Therese konnte über der Tür im unteren Flur gerade noch ein Bild Hitlers erkennen. Seine Kohleaugen schienen sie angewidert anzusehen. Hitler der Sieger. Polen, Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Norwegen, Griechenland. Überall hatte er nach der unkriegerischen Annexion Österreichs und der Tschechoslowakei gesiegt. Mit seinen Truppen, vor allem mit Hilfe der Luftwaffe, hatte er sich in die Sowjetunion vorgeschoben. Estland, Lettland, Litauen waren bereits annektiert. Tunesien und Libyen besetzt. Jugoslawien war besiegt. Die Italiener, die Ungarn und die Rumänen kämpften an der Seite der Deutschen. Sogar mit Japan war Deutschland verbündet. Die Japaner kämpften im Pazifik gegen die amerikanische Flotte.
Unser herrlicher Führer, hatte einmal eine
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