Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
herauftönen. Eine helle Mädchenstimme, weinend, sich schrill steigernd zu Therese unverständlichen Bitten.
Valerie! Für Therese zersprang die Zeit in tausend kristallharte Splitter. Sie stachen auf sie ein. Wie sie sich auch wand, sie konnte ihnen nicht entkommen. Therese versuchte, sich im Holz des Verschlages festzukrallen. Sie stopfte sich Fetzen in den Mund, rollte sich ein, umstrickte sich mit ihren Armen. Nichts sollte aus ihr herausbrechen, kein Schrei. Niemand sollte sie hören. Therese hielt sich so lange verknäult, bis sie wieder atmen konnte. Wenigstens wollte Therese ihre Schmerzen behalten, wenn ihr schon Valerie genommen war, und Sybille und Mutter. Bis sie alle drei wieder zurückbekam, bis zu diesem Tag, mußte sie sich totstellen wie ein Igel im Laub.
Valerie.
Wohin hat man dich gebracht?
Kindern können sie doch nichts tun.
Ein Kind kann doch nicht verlöschen wie eine Kerze.
Therese richtete sich auf. Zwei Jahre lang war sie von Valerie getrennt, und sie wünschte sich jeden Abend, wenigstens von ihrem Kind zu träumen. Manchmal, wenn sie durch die Bretter ihres Verschlags den Sonnenaufgang spürte, die kleine wimmernde Glocke vom Kirchturm den neuen Tag zu beklagen schien, dann wünschte sich Therese, die endlose Nacht zu verlängern. Dann hatte sie nicht von Valerie geträumt, und sie glaubte, daß nicht einmal die Sonne ihre Erstarrung lösen könne.
Dieser Augustmorgen war wieder warm. Es würde ein heißer Tag werden, wie gestern. Maximilian. Maxl. Die Zärtlichkeit und das Verständnis des Lechnerbuben taten Therese gut. Und für einen Moment war sie entspannt in dem staubigen Zwielicht ihres Asyls. Von Max fühlte Therese sich geliebt und beschützt. Jedesmal, wenn seine Eltern Besuch hatten oder wenn einer der Polizisten heraufkam, drehte Max das Radio an. Und zwar so laut, daß Therese es in ihrem Verschlag hörte und gewarnt war. Wenn die Ferien vorbei waren, würde Therese Max wieder bei den Schularbeiten helfen. Stunden, die ihr Halt waren im zähen Fluß der Tage.
Die Tür zu Thereses Verschlag wurde aufgerissen, und Lonis metallene Stimme stieß Therese wieder in die Realität. Loni knallte einen Teller auf den Boden.
»Da, mehr gibt es nicht. Sie entfremden mir den Max. Das ist jetzt der Dank.«
Lonis Schritte entfernten sich. Jeder Tritt ein Schimpfwort. Geschlagen saß Therese in ihren Decken. Trotz der dumpfen Wärme im Raum fror sie. Die dünnen Lichtbahnen, die durch die Ritzen der Verdunkelung fielen, verblaßten und ließen die Möbel um Therese wieder drohend und düster näher rücken.
Nach einer Weile hörte Therese, wie Loni das Haus verließ. Das tat sie seit einigen Tagen regelmäßig, denn sie hatte jetzt beim Hansbauer und beim Oberen Siegl die Bäuerinnen zu vertreten, die für ihre Männer die Feldarbeit verrichten mußten. Reichspropagandaminister Goebbels hatte schon im letzten Jahr dazu aufgerufen, daß alle deutschen Frauen mitarbeiten müßten, um die Männer in der Kriegswirtschaft zu ersetzen.
An manchen Tagen, wenn Loni zur NS-Frauenschaft ging und die Polizisten dienstlich unterwegs waren, holte Maxl Therese in die Küche. Sie hörten dann Radio. Therese hatte schon oft Goebbels schreien hören. »Wollt ihr, insbesondere ihr Frauen selbst, daß die Regierung dafür sorgt, daß auch die letzte Arbeitskraft der Frau der Kriegführung zur Verfügung gestellt wird? Und daß die Frau überall da, wo es nur möglich ist, einspringt, um Männer für die Front freizumachen? Billigt ihr, wenn nötig, die radikalsten Maßnahmen gegen einen kleinen Kreis von Drückebergern und Schiebern, die mitten im Krieg Frieden spielen wollen, um die Not des Volkes zu eigensüchtigen Zwecken auszunutzen? Seid ihr damit einverstanden, daß, wer sich am Krieg vergeht, den Kopf verliert? Je mehr Frauen sich für den großen Umschichtungsprozeß zur Verfügung stellen, je mehr Soldaten können wir für die Front freimachen und um so härter kann der Führer im kommenden Sommer zuschlagen. Wir hoffen, in kürzester Zeit Armeen von Arbeitskräften freizumachen, die ihrerseits dann wieder Armeen von kämpfenden Soldaten freistellen werden. Ärztliche Atteste werden statt der aufgerufenen Arbeitskraft nicht entgegengenommen. Auch eine Alibiarbeit, die man sich beim Mann oder Schwager oder bei Bekannten schafft, um sich drücken zu können, wird von uns mit Gegenmaßnahmen beantwortet werden. Wir müssen die Bequemlichkeit opfern, um zum Siege zu kommen.«
Therese hörte,
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