Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
davon abhalten, daß sich aus dem G’lump, das der Schwager dort drin abgestellt habe, wahrscheinlich ein paar Bücher gelöst hätten.
Als die Männer gegangen waren, als Therese mit schweißnassen Händen dasaß, die Zunge trocken am Gaumen, da steckte auch noch Loni den Kopf zur Tür hinein. »Ruhe, verdammt. Oder sollen wir alle krepieren?«
Loni. Apollonia Lechner, die Frau des Hauptwachtmeisters. Sie war eine Preußin, die stets Dirndl trug. Wieshamer Tracht. Wenn Loni Therese das Essen brachte, stellte sie es gleich neben der Tür des Verschlages ab. Rasch, als würde sie es sonst bereuen. Trotz der Eile glaubte Therese jedesmal, die Nähte des Dirndls ächzen zu hören, wenn Loni sich bückte. Sie war derart reichlich hineingegossen in das Gewand, daß keine zusätzliche Belastung mehr möglich schien.
Therese hatte Apollonia Lechner erst einmal richtig gesehen. Das war an dem Juliabend vor zwei Jahren gewesen, als Therese bei den Lechners angekommen war. Wie eine Bäuerin aus einem Ganghoferroman hatte Loni in der Stube gesessen, einen dicken blonden Zopf zur Krone um den Kopf geschlungen. Hochrote Wangen straff über den Jochbeinbögen. Therese hatte vermutet, daß Loni von einem Bauernhof im Isarwinkel stammte. Erst später erfuhr sie, daß Loni aus Olpe war, Olpe in Westfalen. Das schien sie für Mann und Sohn und sogar für die Polizisten angreifbar zu machen. Therese spürte eine seltsame Genugtuung darüber, daß Loni nicht wirklich bayrisch war, aber offenbar unbedingt sein wollte. Während sie, Therese, mit ihrer Familie seit Generationen in Bayern angestammt war. Therese fand ihre patriotischen Gefühle durchaus lächerlich.Schließlich war sie selbst auf der untersten Stufe jeder nur denkbaren Hierarchie. Seit mehr als zehn Jahren wies man ihr nach, daß sie nichts mehr war als nur noch Jüdin, bis zu Abraham hinauf. Da nützte ihr keine Münchner Geburt. Keine nationale Gesinnung. Das Wohlverhalten und der Reichtum ihrer Familie hatten nichts ausgerichtet gegen den Haß. Aber mit Kaspar und Maxl Lechner gab es manchmal stille Momente des Einverständnisses, an denen Loni keinen Anteil hatte.
Therese hatte in der langen Zeit ihres Asyls bei Lechners gelernt, Loni zu verabscheuen. Dennoch sah sie sich – wenn auch widerwillig – in einer Art Verwandtschaftsverhältnis zu dieser Frau, die ihre Herkunft als Westfälin hinter Trachtengewändern zu verbergen suchte. Hatte Therese nicht auch alles getan, ihr Jüdischsein zu verleugnen? Sie hatte manchmal Röcke und Blusen wie die BDM-Mädels getragen, ihr dunkelblondes Haar durch Waschen mit Kamille aufzuhellen gesucht. Selbst als befohlen war, den gelben Stern zu tragen, hatte sie sich widersetzt. Sich oft sternlos unter die Arier gemischt, und das selbst noch zu Zeiten, als es Juden durch Gesetz verboten war, sich überhaupt in der Öffentlichkeit zu bewegen.
Wenn man von den unterschiedlichen Konsequenzen absah, schien es Loni ebenso unmöglich wie Therese, sie selbst zu sein. Therese kämpfte seit zehn Jahren, und die Karten standen nicht gut für sie.
Therese hieß seit drei Jahren Sara. Auf Frauen, die Sara hießen, wartete die Deportation. Es mußte nur ein gehorsamer Deutscher sie in ihrem Versteck aufstöbern. Doch solange das nicht passierte, so lange hatte Therese Hoffnung. Valerie. Gab es überhaupt einen Tag, eine Stunde nur, wo Therese nicht an ihr Kind dachte? Wenn Therese sich zurücklehnte in ihre Decken, wenn sie die Augen schloß, konnte sie sich Valerie vorstellen. Valerie in ihrem Bettchen.Ihr schmaler Körper, die goldschimmernde Haut. Therese stellte sich vor, wie sie wieder und wieder Valeries dünne Ärmchen mit ihren Lippen berührte. Sie legte den Kopf an Valeries Hals, spürte den Puls des Kindes, den reinen Atem. Valerie hatte es geliebt, wenn Therese sie »aus dem Schlaf geschmust« hatte, wie die Kleine das nannte. Therese küßte sie dann vorsichtig auf die Wangen, die Schultern, die Arme, bis hinunter zu den Handgelenken. Valerie stellte sich noch lange schlafend, aber ihre Wimpern zuckten, und Therese wußte, daß sie die Küsserei genoß, nicht genug davon kriegen konnte. Valerie. Manchmal war die Sehnsucht Thereses nach ihrem Kind so stark, daß sie glaubte, sie müsse alledem mit ihrem Veronal ein Ende machen.
Einmal, es war in den ersten Tagen nach ihrer Flucht gewesen, als Therese wie betäubt in ihrem Verschlag den Vormittag verdämmerte, da hörte sie die Stimme eines kleinen Mädchens von der Straße
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