Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
es Diebstahl, was Therese vorhatte? Diebstahl heißen Wassers? Ihr war es gleichgültig, wenigstens in diesem Moment. Vielmehr beherrschte sie der Gedanke, wie sie das Wasser, oder einen Teil davon, in die Zinkwanne schütten könnte. Dazu brauchte man zwei starke Arme, und Therese hatte kaum Kraft, sich auf den Beinen zu halten. Ihr Blick fiel auf eine irdene Schüssel, und Therese begann mittels der Schüssel Wasser aus dem Waschzuber in die Zinkwanne zu gießen. Es mußte rasch gehen, die anderen würden ja schon in einer Stunde zurückkommen. Therese fand sogar, trotz der Dunkelheit, die Seife, die vom Lechnerschen Baderitual noch neben der Wanne lag.
Therese hockte sich in die Wanne, die zwar nur zu einem geringen Teil gefüllt war, jedoch das Versprechen einer gewissen Sauberkeit gab. Wieder und wieder goß sich Therese warmes Wasser über den Kopf. Das, was sie über sich gegossen hatte, wurde in der Wanne wieder aufgefangen, und Therese konnte es von neuem über sich gießen. Theresehätte mehr Wasser gebraucht, doppelt soviel, zehnmal, hundertmal soviel, sie hätte schwimmen mögen in Seifenwasser, um den verkrusteten Schmutz, die Modergerüche aus ihren Poren herauszuwaschen. Danach dann, im glasklaren, warmen Strom alles abstreifen und sich vollkommen rein in warme Tücher hüllen. Ein Traum, der Therese das Jämmerliche ihrer Aktion bewußtmachte. Sie fror. Sie legte sich jetzt völlig flach in die Wanne, so gut es eben gehen mochte, doch sie zitterte vor Kälte. Die Handtücher der Lechners hingen noch über dem Stuhl. Rasch trocknete sie sich ab, rubbelte ihre Haut so stark sie konnte. Dann ließ der Schreck sie alle Kälte vergessen.
Was war das? Hörte sie nicht Schritte im Haus? Thereses Herz begann sofort wie rasend zu klopfen. Hastig schlüpfte sie in ihr neues Kleid, zog fest den Gürtel um sich und schlich dann leise, einen Unterrock um ihr Haar gewickelt, aus der Badestube.
Im Flur stand Kaspar Lechner. Er hatte eine Petroleumlampe an der Hand und sagte Therese, daß sie nicht erschrecken sollte. Er war früher aus der Kirche nach Hause gegangen, weil er wieder sakrische Schmerzen in seinem linken Bein gespürt hatte. Die Verletzung aus dem vorigen Krieg. Therese wußte davon. Und sie wußte auch, daß Kaspar Lechner sie jetzt in die Arme nehmen würde. Sie schämte sich, daß sie ihm nur ein Skelett anzubieten hatte. Nur noch Haut und Knochen, wie es hieß. Kaspar hatte mehr verdient.
Therese ließ ihren Kopf gegen seine Schulter fallen. Das Tuch glitt zu Boden. Kaspar Lechner streichelte ihr nasses Haar, wieder und wieder. Und Therese wußte, daß es eine Art kindliche Liebe und Dankbarkeit war, was sie für Kaspar empfand, aber Frauenliebe war es auch. Und Sehnsucht nach der Haut an seinem Hals, nach seinem Lächeln, das so weich sein konnte in der Dämmerung ihres Verschlags.Wie oft hatte sie Kaspars Hals gestreichelt, die weiche Buchtung zwischen Ohr und Schlüsselbein, und nie hatte sie gewußt, ob Kaspar darüber wirklich froh war, oder ob es ihm nicht vielmehr angst gemacht hatte. Doch sie hatte sein Lächeln gesehen. Ein verlegenes, überraschtes, aber doch froh überraschtes Lächeln, das Therese aber nicht ganz deuten konnte. Sie wollte auch nicht unbedingt Rücksicht nehmen auf Kaspars Lächeln. Es ging ihr darum, herauszufinden, ob sie überhaupt noch eine Frau war. Sie hatte das Gefühl, daß ihre Weiblichkeit weit, weit hinter ihr lag, in einem Leben, das sie nicht einmal mehr im Traum führen konnte. Und oftmals dachte sie, daß sie sterben würde, ohne noch je zu erfahren, ob sie denn in Wahrheit eine Frau gewesen war. Sie hätte dazu Leon befragen müssen oder Ivan oder Thalhuber. Und sie war im Zweifel, ob die sich noch erinnern würden.
Therese fühlte sich um so vieles älter als Kaspar, der ihr mehr als zwanzig Jahre voraus hatte. Wenn Therese Kaspar streichelte, war es ihr, als verginge sich eine alte Frau an einem schönen jungen Mann.
»Therese«, sagte Kaspar jetzt, »Therese, ich bin deinetwegen gekommen.«
Therese spürte, daß jetzt Kaspars Hände unwiderruflich auf ihr lagen, liegenbleiben würden. Und sie spürte auch, daß Weihnachten war, Heilige Nacht. Und daß vielleicht doch noch ein neues Leben auf sie zukommen könnte. Wenn Kaspar sie streichelte, wenn er es tat, dann hatte auch er Hoffnung, dann glaubte auch er an morgen, und daran, daß Therese ein Mensch war wie er und wie Max. Und wie Loni? Hatte Therese ihretwegen Skrupel? Hatte sie gegenüber
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