Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
krängenden Bootes. Sie lag fast im Wasser. Und Therese wunderte sich darüber wie stets, denn Mutter konnte nicht schwimmen. Trotzdem fürchtete sie sich nicht. Manchmal, wenn das Boot gar zu stark krängte und das Wasser sie überspülte, dann fragte sie manchmal: »Alles in Ordnung, Sybille?« oder »Alles in Ordnung, Richard?« Wenn dann die beiden nickten, wandte sich Mutter wieder ihren Träumereien zu. Als sie später wieder ablegten von der Insel, blieb der Wind aus. Sie lagen in der Dunkelheit auf dem spiegelglatten See. Vater stand am Bug, als wolle er nie wieder dort weggehen, und Therese trank dieses Bild in sich hinein. Sie hätte amliebsten den Traum verschlossen und versiegelt, so tief und schmerzlich lebte er in ihr. Und so tief und schmerzlich wollte sie ihn auch behalten.
Am Morgen brachte Maxl für Therese Tee und Kartoffelbrot. Er blieb für Sekunden in der Tür des Verschlages hocken und sah Therese mit seinem Ermutigungslächeln an, das er immer für sie hatte. Therese wurde es mehr denn je bewußt, wie sehr sie diesen Jungen liebgewonnen hatte. Er war ihr Sohn, aber auch ihr Kamerad, der sie beschützte und beschenkte, weit über seine Möglichkeiten hinaus. Therese liebte Maxl ganz tief. Maxl war Lonis Sohn. War Therese schuld daran, daß Maxl sich immer mehr von Loni entfremdete? Hatte sie wirklich die Familie Lechner zerstört? Therese hörte es oft genug, wenn Loni und Kaspar in ihrem Schlafzimmer stritten, das an Thereses Verschlag angrenzte. War Therese schuld, daß Loni trotz der Lebensmittelknappheit immer dicker wurde? Daß sie mit jedem Tag die Türen lauter knallte und ihre Laune schlechter wurde? Loni sprach kaum noch mit ihrem Mann, und in der Nacht schrie sie ihn an, daß er schon lange kein richtiger Mann mehr sei und daß er wohl das jüdische Totengerippe lieber habe als seine eigene Frau. Therese wußte, all dies sollte sie hören. Es waren Botschaften eigens für Therese. Und aus dem beharrlichen Schweigen Kaspars entnahm sie, daß er das auch so empfand.
Auch wenn Loni sich nicht mehr bei Therese sehen ließ, glaubte Therese zu spüren, was in Loni vorging. Es konnte Loni nicht verborgen bleiben, daß das allzu rasch errichtete Reich der braunen Hemden, daß der Siegestempel der Nationalsozialisten zu schwanken begann und daß es nur noch eine Frage der Zeit war, bis er, in den Grundfesten erschüttert, in sich zusammensinken würde. Loni witterte mit dem Instinkt der Armgeborenen, daß sie nach einem gewissen Aufstieg aus ihrem dürftigen Herkommen wiederim Sinken begriffen war. Erst durch die Nationalsozialisten war Loni ein Ich zugeflogen. Doch es hatte sich nie zu Hause gefühlt bei ihr. Loni hatte es nie füttern und tränken und zähmen können, sosehr sie es auch gewollt hatte. Ihre Glanzzeit als Chefin einer Küche war Leihgabe der Nationalsozialisten gewesen. Loni wußte, daß sie auch den Hauptwachtmeister Lechner nur dem Umstand zu verdanken hatte, daß sie im Isarwinkel eine Fremde, zunächst Undurchschaubare, gewesen war. Hätte Kaspar Lechner ihre Vergangenheit gekannt, wer weiß.
Die Ämter, die Loni durch ihre Mitgliedschaft in der NS-Frauenschaft bekleidete, waren ihr immer zu groß gewesen. Zitternd und mit nassen Achselhöhlen war Loni oftmals im Kreis der Frauen gestanden, wenn sie, die Schaftführerin, eine Schaftstunde zu halten hatte. Immer zu Beginn mußte aus einer Schrift Adolf Hitlers oder Baldur von Schirachs zitiert werden. Loni las und übte, bis sie, ohne auch nur einen Sinn zu begreifen, den Spruch auswendig konnte.
»Unlösbar verbunden mit dem durch Äonen sich gleichbleibenden Umlauf der großen Gestirne, mit dem im Wandel der Jahreszeiten doch unveränderlichen Wesen der Erde, fühlt sich die Frau heute ihrem Volk gegenüber erwählt zur tiefsten Verantwortlichkeit, als die zur Wahrung der Schwelle zwischen Leben und Untergang berufene Hüterin …« Oder: »Immer vom Abgrund bedroht bietet sich die Frau zum Gefäß der Erneuerung ihres Volkes dar und was sie willig empfängt, geduldig austrägt und unter Schmerzen zur Welt bringt, damit speist sich der Strom der Kraft, der ein Volk unsterblich sein läßt, solange der mütterliche Quell nicht versiegt. Die Erde mit der ganzen Macht ihrer planetarischen Beschaffenheit, mit ihren kosmischen Kräften, steht hinter der Frau und trägt sie. In ihrer Mütterlichkeit besitzt die Frau ihre einzige, aberzugleich eine einzigartige Schlüsselstellung. Nicht zur Eroberung, nicht zur
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