Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
Leon Skrupel gespürt, Ivans wegen? So viele Jahre hatte sie Leon nicht gesehen. Er gehörte nicht mehr zu ihr, und doch spürte sie oftmals schmerzhafte Sehnsucht nach ihm. Dieselbe bittere Liebe gehörte Ivan, und nichtzuletzt Thalhuber. Auch ihn hatte sie drei Jahre lang nicht gesehen und gespürt, und trotzdem war er bei ihr wie die anderen auch, Tag und Nacht. Und Max liebte Therese auch. Seine dünnen Arme mit dem weichen Haarflaum, den Therese nie sehen, aber spüren konnte, wenn sie die knochigen Arme des Jungen streichelte, sein dichtes Haar, das weich war und struppig zugleich. Und nun Kaspar. Jetzt und hier gehörte er Therese, und sie wollte ihn haben und behalten. Und alle anderen auch. Und für diesen Moment fühlte sie ihr Leben auferstehen. Sie fühlte sich stark und gut.
Der nächste Morgen war häßlich und kalt. Weihnachten. Den ganzen Tag lang wurde es nicht hell, so daß auch in Thereses Verschlag kein Lichtstrahl drang. Maxl hatte das Weihnachtsessen gebracht. Kartoffelknödel mit Soße und einem Stück Braten. Dann wieder Stille im Haus. Die Lechners gingen zu Verwandten zum Weihnachtskaffee. Therese wollte an Kaspar denken. Und sie wußte, daß diese Gedanken sie noch einsamer werden ließen. Und trotzdem dachte sie an Kaspar und an die weiche Haut seines Halses. Und es gelang Therese, sich in diesen Gedanken einzurollen wie in ihre Decken. Sie wußte, daß Kaspars Haut ihr gehörte, er gehörte ihr mit Haut und Haar. Doch Therese? Sie gehörte jedem Mann in ihrem Leben. Leon und Ivan und Thalhuber und Kaspar und Maxl. Und erst all die Flammen, die Thereses Schulzeit begleiteten. Mit Vierzehn schon hochrote Ohren, Geflüster im Kino, heiße Hände unter Strickjacken und Mänteln. Küsse, derer sie draußen schon überdrüssig war. Alles hinter dem Rücken des Wächters Leon, des allzu früh Verlobten. Deshalb war es ja auch so schön. Nur von Jochen, ihrem langjährigen und liebsten Schulfreund, wurde sie enttäuscht. Er verleugnete sie. Für ihn war Thereses Jüdischsein die Auslöschung seiner Gefühle. Es traf mehrals nur Thereses Eitelkeit. Doch sie war sofort bereit, anderen Bekenntnissen zuzuhören. Sie deckte Jochens Verrat zu mit den Gefühlen anderer. Notfalls mit dem Werben Leons, der sich nicht die Mühe machte, eine Ahnung von Thereses Treiben zu haben.
Wo waren all diese Gefühle? Die Namen? Die Hände? Die Münder? Was für ein Mädchen war Therese gewesen? Leichtfertig? Schamlos? Triebhaft? Therese hatte nicht die mindeste Lust, ihre Seele in Einzelteile zu zerlegen. Sie fand, daß sie im Laufe der Jahre kälter geworden war und rechenschaftslos. War sie böse oder war sie gut, weil sie viel geliebt hatte und immer noch liebte? Therese war es gleichgültig, daß sie zu keinem Ergebnis kam. Die Welt, in der sie lebte, brauchte keinen edlen Menschen. Therese, die Jüdin, konnte diesen Anspruch ohnehin nicht erfüllen. Auch Leon war kein guter Mensch, auch er war Jude. Ivan ebenfalls, Leon, Ivan und Therese waren einander ebenbürtig. Vielleicht hätte Ivan für Therese der Eine sein können, der Einzige, der einem nur einmal im Leben begegnet, der das Schicksal ist, von einem Höheren bestimmt. Doch Ivan hielt die Fahne seiner Eigenständigkeit allzu hoch. Seinen Junggesellenstatus schleppte er wie einen Schutzschild vor sich her. Vielleicht hätte Therese mißtrauischer sein sollen gegen beides. Vielleicht hätte sie gegen Ivans Eigenanalyse vom ewigen Einzelgänger rebellieren sollen, sich wehren sollen. Sie hatte es nicht getan. War brav wie eine Dampflok auf der Schiene gefahren, auf die ihre Eltern und Leon sie gesetzt hatten. Obwohl Therese deutlich gespürt hatte, daß Ivan stark schwankte zwischen dem Wunsch, für Therese sein Leben zu verändern, und der Angst davor. Sie hatte dieses Schwanken gespürt und gefunden, daß Ivan ein Idiot war, weil er nicht darüber jubilierte, Therese getroffen zu haben. Weil er nichts dazu tat, daß Therese sich für ihn entschied.
Therese war erleichtert, daß sie dies alles endlich einmal vor sich selber zugab. Allzu lange hatte sie sich eingeredet, daß Ivan aus Rücksicht auf Leon so zögerlich in seiner Werbung gewesen war. Dabei war er einzig und allein gegenüber sich selber rücksichtsvoll gewesen. Ivan wußte bereits als junger Mann, wie er im Alter leben wollte. Und das war immer die Vorstellung vom einsamen glücklichen Greis gewesen. Und es wurde höchste Zeit, daß Therese sich eingestand, daß Ivan weit weniger von ihr
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