Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
Braut gleiten. Alle saßen starr. Die Hochzeitsgäste, die Verwandten. Am allerdümmsten hat der Bräutigam dreingesehen. Jedenfalls hat das der Lehrer bemerkt, der die Marie wohl am liebsten selber geheiratet hätte. Er hat später die Geschichte aufgeschrieben, und auch, daß die Marie zeitlebens glücklich und reich gewesen ist. Und daß alle schönen und liebreichen Mädchen im Isarwinkel mit ihr verwandt sind.
»Die Stanzi auch«, entfuhr es Maximilian, doch das hätte er am liebsten nicht gesagt. Therese überhörte es taktvoll.
»Warum kommt die Anni nicht mehr zu uns?« fragte Maxl nach einer Weile. »Früher ist sie oft gekommen.«
»Das ist zu gefährlich. Die Anni wird von der Gestapo überwacht.«
»Weil s’ Sie versteckt hat?«
»Nein, Max, das weiß die Gestapo nicht. Wenn die das wüßten.«
»Was hat s’ denn getan?«
»Ihr Mann war Sozialdemokrat. Er war im Widerstand gegen die Nazis. Sie haben ihn umgebracht. Und der Anni trauen sie deshalb nicht. Außerdem war sie bei uns im Haushalt. Du weißt ja, arischen Mädchen ist es verboten, bei jüdischen Familien zu arbeiten. Anni ist aber trotzdem immer zu uns gekommen. Und daher hat die Polizei sie schon einmal festgenommen. Aber das erzähle ich dir ein andermal. Heute mußt du gehen. Gleich kommt deine Mutter nach Hause. Sie ist böse auf uns. Sie hat uns gesehen, als wir vom Schwimmbad kamen.«
»Aber wissen tut sie nix, garnix. Sie hat uns bloß auf dem Flur stehn sehn. Ich hab nix verraten.«
»Ich weiß, Max, ich hab es aber trotzdem deinem Vater gesagt, damit er nicht überrumpelt wird, wenn doch was rauskommt.«
Maximilian kroch hinaus, und Therese wollte sich in ihre Decken einrollen, als sie die Stimme des Polizisten Hurler hörte. »Du, Maxl, über uns in der Kammer, da hat’s bestimmt Ratzn, ich hör da immer so ein Rascheln und Scharren, der Kerzl hat’s auch ghört. Geh zu, Max, komm, wir schaun amal nach.«
Therese hatte das Gefühl, daß der Raum sich um sie drehte. Daß die Möbel von ihr abrückten und sich dadurch der Boden auf die Seite neigte. Als Therese sich eng an die Wand preßte, nach ihren Tabletten tastete und nach der Tasse mit dem Tee, da hob sich der Raum wieder, die Möbel schoben sich auf sie zu, ein Auf und Ab. Therese war wie auf einem Schiff bei starker See, das, festgemacht an der Boje, niemals auslaufen kann.
»Ich hab keinen Schlüssel«, hörte Therese Max sagen. »Und überhaupts sind Sie ja net für die Ratzn da. Da paßt scho mei Papa auf.«
»Ich hab’s ja nur gut gemeint«, brummte Hurler, und Therese hörte, wie der Polizist die Treppe hinunterging. Therese spürte ihr Blut in den Schläfen klopfen, ihr Mund war trocken. Ihr war, als bekäme sie keine Luft. Doch sie wagte nicht, zum Fenster zu robben. Sie durfte sich nicht bewegen.
Jäh spürte sie einen spitzen scharfen Schmerz in der Hand. Therese fühlte, daß sie das Röhrchen mit den Tabletten zerdrückt hatte. Kleine Glassplitter fielen mit den Tabletten heraus, Splitter steckten in ihrer Handfläche. Therese hockte da, tastete über ihre Haut und spürte die Splitter, die wie kleine Nadeln stachen, wenn Therese sie berührte. Konzentriert zog Therese die Splitter aus der Haut. Es tat weh, es tat gut. Sie war da. Sie lebte. Sie wareine Ratte in der Abstellkammer. Gut so. Es ist immer gut, wenn man weiß, wer man ist.
Therese befühlte nochmals sorgfältig ihre Hand. Einen vergessenen Splitter, eine eiternde Wunde, das konnte sie sich nicht erlauben. Ratten haben keine Glassplitter in den Pfoten. Sie brauchen auch keinen Arzt. Therese schauderte. Ratten. Das war ein Synonym für Ekelhaftes, Abscheuliches, Auszurottendes. So wie Juden. Therese zog ihre Kleider aus und schlüpfte nackt unter die Decken. Das tat sie im Sommer immer, um so am Morgen wenigstens die Illusion frischer Wäsche zu haben. Anni hatte früher immer alle Kleider auf den Balkon gebracht, damit sie in der Feuchtigkeit und Kühle der Nacht auslüften konnten.
Anni. Das Haus am Herzogpark. Beides war verloren für Therese, doch beides lebte in ihr. Tag und Nacht. Ob Anni und das Haus die Angriffe auf München überstanden hatten? Bei jedem Bombenangriff auf München zitterte Therese um Anni.
In der Nacht träumte Therese vom Chiemsee. Sie waren, wie so oft, mit dem Boot zur Fraueninsel gefahren. Wellen kräuselten den See. Eine leichte Brise ließ die »Möwe« rasch dahingleiten. Sybille saß konzentriert am Ruder, und Mutter lag längsseits auf der Bank des stark
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