Besessen
der Bewegung in die Quere zu kommen. Sicher, er war manchmal ein wenig lax beim Verfolgen einer Beute, aber es bestand ein gewaltiger Unterschied zwischen dem Verpassen einer Gelegenheit und dem mutwilligen Entschluss, eine manifeste Chance ungenutzt verstreichen zu lassen.
Zwei Wege verliefen in entgegengesetzten Richtungen um den Hügel herum, auf dem sich zerstreut alte schiefe und beschädigte Grabsteine befanden. Nach außen begrenzten kunstvolle Mausoleen die Wege, marmorne Gebäude, die derart übel nach Tod stanken, dass Max kaum glauben konnte, dass Menschen das wirklich nicht rochen.
Zügig beschritt er einen der Wege. Bevor er sich einen tödlichen Sonnenbrand zuzog, musste er das Gelände durchsucht haben. Dann nahm er einen üblen Geruch wahr, etwas Unheilvolles lag in der Luft.
Erst nahm er an, es handelte sich einfach um irgendeine Leiche, schlimmstenfalls ein neues Opfer von Nathan. Dann merkte er jedoch, dass die kupferne Note im Bouquet eine warme, lebendige Schärfe besaß. Max spurtete los in Richtung Blut.
Als Erstes sah er ein Bein, das aus einem von Efeu bedeckten, unterirdischen Gewölbe, einer Art Krypta, herausragte. Der schwarze Lederstiefel an ihrem Fuß war mit Schlamm beschmiert und übel zerfetzt, als hätte ein heftiger langer Kampf stattgefunden. Unter ihrem aufgerissenen Hosenbein war eine tiefe Wunde vom Knie bis zum Knöchel zu sehen. Durch das klaffende Fleisch sah er erschreckend weiße Knochen aufblitzen.
Der Anblick war übel genug, um ihm einen heftigen Brechreiz zu bereiten. Als Bella ihn vor dem Café angegriffen hatte, schien sie unbesiegbar zu sein. Jetzt war die Werwölfin nur noch ein schwer verletzter, blutender Körper.
Wer auch immer das getan hatte, befand sich ganz in der Nähe, schwer atmend, knapp außerhalb seiner Sichtweite. Max hastete um die Ecke des Gewölbes und blieb wie angewurzelt stehen.
Es dauerte einen Augenblick, bis er in dem Monster, das über sie gebeugt war, Nathan erkannte. Als die grässliche Erkenntnis ihn durchdrang, war Max unfähig, sich zu rühren und seine Waffe zu ziehen. Die Kreatur, die einmal sein bester Freund gewesen war, drehte sich um, das Gesicht blutig vom Fraß, und stieß ein wütendes Knurren aus. Aber statt ihn anzufallen, warf er einen Blick auf den heller werdendenHimmel und ergriff die Flucht. Mit einem gewaltigen Satz sprang er auf das Mausoleum, dann verschwand er dahinter.
Max ergriff den steinernen Sims des Mausoleums und wollte der Bestie nachsetzen, da hörte er Bella stöhnen. Wenn er sie liegen ließ, wo sie war, wurde sie vielleicht gefunden. Der Friedhofsverwalter kam bestimmt bald, schloss das Tor auf und drehte seine Runde, um sich zu überzeugen, dass über Nacht kein fauler Zauber stattgefunden hatte. Nur kannte sich Max mit den Heilungsprozessen von Werwölfen nicht aus. Er war nicht sicher, ob sie ohne Hilfe so lange überleben konnte.
Scheiß auf sie. Sie hat versucht, dich zu töten , rief er sich ins Gedächtnis. Wenn sie stirbt, hast du eine Sorge weniger.
Aber so war er nicht. Auch wenn er es sich manchmal wünschte.
Bis Sonnenaufgang waren es nur noch wenige Minuten. Ihm blieb keine Zeit mehr, Nathan zu verfolgen. Wenn er ihn dennoch jagte, würden sie beide sterben. Und, Werwolf oder nicht, Bella war eine Jagdgefährtin, eine Kollegin aus der Bewegung. Er konnte sie nicht sterben lassen.
Max fluchte so laut und herzhaft über ihre Dummheit, dass sie es eigentlich hören musste, selbst wenn sie schon den Löffel abgegeben hatte. Dann bückte er sich und hob ihren schlaffen Körper hoch. „Du solltest beten, dass Nathan in seiner Bude einen erstklassigen Erste-Hilfe-Koffer stehen hat, sonst bist du echt in Schwierigkeiten, Lady.“
Es kostete ihn einige Anstrengung, sie über die Mauer zu bugsieren, ohne ihr das Genick zu brechen, doch die Anwendung der klassischen Feuerwehrmann-Tragetechnik half ihm schließlich aus der Klemme. Max verstaute sie mühsam in seinem Wagen und lehnte ihren Kopf gegen das Fenster, damit Bella aussah, als würde sie schlafen und nicht tödlichverwundet sein. „Wenn du mir den Sitz vollblutest, streiche ich dich von meiner Weihnachtskarten-Liste.“
Irgendwo auf dem Friedhof entwischte gerade seine eigentliche Beute. Von den zerklüfteten Steinen auf dem Gipfel des Hügels sah er zu der sterbenden Frau auf dem Sitz neben sich und fluchte. Mit einer letzten wilden Verwünschung packte er das Lenkrad und raste davon.
14. KAPITEL
Die Vergangenheit kehrt
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