Besessen
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Marchs private Räume befanden sich im hinteren Teil des Hauses. Sie führte mich in einen riesigen Wintergarten, ein Raum wie eine Glaskuppel, voller Grünpflanzen und blühender Bäume. Pfade, die mit einem kleinteiligen Mosaik aus winzigen Kacheln ausgelegt waren, führten um die Beete. Die kurvigen Wege trafen sich in der Mitte des Raums, wo Wasser über einen zerklüfteten Felsen lief, der fast bis zur Decke reichte. Vor diesem beeindruckenden Landschaftselement wachte ein markantes rotes Shinto-Tor über einem kunstvoll arrangierten Teegedeck.
March machte eine Handbewegung, ich solle an dem zierlichen schmiedeeisernen Tischchen Platz nehmen, und obwohl ich immer noch ziemlich wütend war, setzte ich mich. „Wenn man bedenkt, was Sie sind, dann kommt mir so ein spirituelles Symbol ziemlich deplatziert vor.“
„Warum? Kann ein Vampir keine Spiritualität haben?“ Ihr erstaunter Gesichtsausdruck wirkte ziemlich unspirituell, doch der Widerspruch überraschte mich nicht. Die Frau war so schwer zu lesen wie ein Buch, das rückwärts geschrieben wurde. „Die Shinto-Tradition beschäftigt sich vorrangig mit den spirituellen Angelegenheiten der Lebenden. Ich bin unsterblich, deshalb ist es sicher nicht verkehrt, wenn ich an etwas glaube.“
„Das habe ich nicht gemeint“, erklärte ich, als sie mir Blut aus einer viktorianischen Teekanne einschenkte. „Ich wollte sagen, dass so ein spirituelles Ding ziemlich auffällig ist, wenn man bedenkt, dass Sie eine Vampirzuhälterin sind, die sich an Leute heranmacht, und sie dann im Schlaf versuchtumzubringen.“
Gespielt beleidigt verzog sie das Gesicht und lachte heiser, wobei sie ihre Zähne zeigte. „Also, warum müssen Sie auch dieses Wort verwenden? Es ist so eine hässliche Bezeichnung für das, was ich tue.“
„Wie wär’s mit Entführung oder Freiheitsberaubung? Gefallen diese Bezeichnungen Ihnen besser?“ Ich lehnte das Blut, das sie mir anbot, ab und machte dabei auch kein Hehl daraus, dass ich ihr misstraute. Sie hatte mich als Geisel gehalten – zugegeben, ich hätte während des Tages sowieso nirgends hingehen können – und sie hatte versucht, mich zu töten. Nur weil sie jetzt beschlossen hatte, mich zum Frühstück einzuladen, hieß das noch lange nicht, dass ich mich auf ihre Seite schlug und wir die besten Freundinnen wurden.
Auch wenn es sich verrückt und paranoid anhörte – und für mich hörte es sich so an, obwohl ich jeder Person, mit der ich auf dieser Reise in Kontakt gekommen war, von den Wächtern in den Mautstationen bis zu den Bedienungen auf den Autobahnraststätten, mit genau dieser Paranoia begegnet war –, hatte ich trotzdem das Gefühl, dass sie wusste, was ich in der Wüste vorhatte.
An ihrem breiten Grinsen konnte ich nicht erkennen, ob sie es wirklich wusste, oder ob sie nur merkte, wie unbehaglich ich mich fühlte. „Nun, das alles können wir doch hinter uns lassen. Ihr Schöpfer ist immerhin der Zögling meines Erzeugers. Wir sind ja quasi miteinander verwandt.“
Ich warf ihr einen bösen Blick zu. „Quasi. Allerdings ist Cyrus nicht mehr mein Schöpfer.“ Einen Moment zögerte ich. „Er ist … tot.“
„Ach, er ist tot?“ March schenkte sich selbst etwas Blut ein und nippte daran, wobei sie mich keinen Moment aus denAugen ließ. Als sie die Tasse geleert hatte, tupfte sie sich die Lippen an einer weißen Serviette aus Leinen ab, auf der sie zarte Blutspuren hinterließ. „Ist das nicht traurig? Dann sind Sie ja jetzt eine Waise.“
Schmerzerfüllt dachte ich an Nathan, und das Wort „Waise“ flammte in meinem Gehirn auf wie ein eingebranntes Zeichen. „Ich bin keine Waise. Und selbst wenn, ich würde den Souleater nie zu meinen Verwandten zählen.
„Wissen Sie, ich habe diesen Namen noch nie gemocht. Er wirkt so aggressiv. Und es klingt so, als ob er etwas Böses tut.“ Sie zündete sich eine Zigarette an, wobei jede ihrer Bewegungen so beiläufig war, als würden wir uns über das Wetter unterhalten.
„Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen.“ Ich war so ziemlich am Ende meiner Geduld angelangt. „Er bringt Vampire um und ernährt sich von ihnen.“
„Sie bringen Menschen um und ernähren sich von ihrem Blut. Wo liegt der Unterschied?“ Sie stellte die Frage mit so einer gekonnten Naivität, dass ich nicht sofort die richtige Antwort gab.
Und mein kurzes Zögern verriet ihr alles, was sie wissen musste: Ich tötete nicht, um mich zu ernähren. In ihren Augen bedeutete das,
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