Besitze mich! (Band 2)
Menschen, die sich ganz ihrem Kraftaufwand hingaben, während an demselben Ort, fast parallel dazu, sich eine andere Welt offenbarte, die der verliebten Pärchen, der aufmerksamen und besorgten Mütter, die von ihrem Baby hypnotisiert waren, der alten Frauen, die sich an eine Bank lehnten, als täten sie dies bis in alle Ewigkeit, und all jene Wesen, die es härter getroffen hatte und die im Leben umherirrten. Man bekam Lust, mehr über die Geschichte jedes einzelnen Gesichtes zu erfahren, Portraits über sie zu schreiben. Dani gelang es, einen Teil der Geheimnisse zu durchdringen, aber nur einen Teil, denn diese Fotos waren weit davon entfernt, alles preiszugeben. Hinweise schienen gestreut worden zu sein, um eine Geschichte daraus machen zu können. Eine alte Frau, eine sehr schöne Blondine, die ein Feinkost-Gericht aus einer kleinen weißen Box aß, ein schwules Pärchen auf Inlineskates, ein sehr schick gekleideter Mann, der zweifelsohne sein großes Apartment mit Blick auf The Metropolitan verließ ... In jedem Foto konnte man eine mögliche Geschichte erahnen, die der Betrachter selbst zu erfinden hatte. Und dann blieben meine Augen an einem Mann hängen, der einer brünetten Frau um die Schulter fasste. Die Arme des Mannes schienen wie die Figuren Picassos: wohlgerundet, kräftig und umhüllend. Der verliebte Mann mit dem starken und imposanten Körper eines Judokämpfers, schien sich einer Sache ganz sicher zu sein. Diese Frau war ganz die Seine und er liebte sie. Sein ganzer Körper drückte das aus. Mit einer Hingabe, die mich erschütterte. In der Stille des Central Parks umhüllte ein Mann eine Frau mit seiner Liebe. Und das mehr als deutlich. Sie trugen keinen Ring am Finger und waren nicht mehr die Jüngsten. Sie kannten sich schon sehr lange und hatten Höhen und Tiefen miteinander durchgestanden, das verriet ihre Umarmung. Ich konnte mir die Fotos danach nicht weiter ansehen, denn dieses Bild durchdrang mich. Dieser Mann und diese Frau verrieten mir, was ich selbst nie erlebt hatte und wonach wir alle strebten: von ganzem Herzen rein und innig geliebt zu werden. Ganz ohne Spielchen und von jener schützenden Hülle umgeben. So weit von dem entfernt, was mich mit Adrien verband, der dennoch meinen ganzen Geist in Beschlag nahm.
Ich hörte das Geräusch der Dusche nicht mehr. Dani tauchte wieder auf, er sah anders aus, aber er ähnelte immer noch ganz dem Abenteurer, den ich kennengelernt hatte. Er trug ein weißes Hemd, eine schwarze Hose und eine schlichtes Sakko. Zweifelsohne war dies sein Outfit, das er bei allen möglichen Anlässen trug, wenn er nicht gerade eine Reportage in allen Herren Ländern machen musste. Seine blonden Haare waren noch feucht, man sah, dass er sich beeilt hatte, um mich nicht warten zu lassen. Dani war zuvorkommend, das hatte ich sofort begriffen. Er beobachtete mich, wie ich mir das Foto des Pärchens anschaute...
„Es gefällt Ihnen?“
Ich wusste nicht, wie ich antworten und es ihm sagen sollte. Die Wirkung dieses Fotos war riesig und schwindelerregend. Nein, das Bild gefiel mir nicht, das war nicht das richtige Wort dafür, nicht die richtige Antwort. Das Foto machte mich sprachlos, es erschütterte mich. Ich hätte losheulen können, wenn ich es ansah. Es zeigte mir einen Horizont auf, den ich nie erreichen würde, da mein Leben derart in der Schwebe lag, so zerbrechlich und ohne Halt. Dieses Foto war das Bild des Lebens, das ich niemals haben würde. Von meinem Herzen hatte Adrien Besitz ergriffen, der unfähig war, sich einer Frau so hinzugeben, wie dieser Mann es tat. Trotzdem musste ich ihm antworten, ihm meine Meinung sagen...
„Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen sagen soll, aber dieses Foto berührt ganz tief mein Herz.“
Sofort kam ich mir dumm vor. Wie sollte man über etwas so Intimes mit jemandem reden, den man kaum kannte? So etwas sagte man nicht, nicht in diesem Umfeld. Man tat so, als hätte man Abstand zu seinen Gefühlen oder Gemütszuständen. Einem Psychologen erzählt man von seinem Seelenleben, einem Therapeuten, einer Kosmetikerin, aber keinem Unbekannten, den man damit in Verlegenheit bringen könnte. Der das obszön finden könnte. Aber bei Dani traf das nicht zu.
„Zuerst wollte ich dieses Bild als Cover für mein Buch nehmen, aber dann habe ich es mir anders überlegt, da der Leser es lieber im Verlauf des Buches entdecken soll. Nicht sofort. Eines Morgens, nach einer sehr bewegenden Nacht, nach einer sehr emotional bewegenden Nacht
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