Besser
Er ist einer dieser altmodischen Gläubigen, der die Hauptnachrichten sieht wie Mönche die Bibel lesen: mit einer ihm sonst keineswegs eigenen kindlichen Naivität, mit absolutem Glauben, mit elementarem Vertrauen in die Wahrheit dieser Verkündung. Als würden die Nachrichten durchwegs von auf Objektivität eingeschworenen Propheten und Heiligen gemacht, nicht von Menschen. Nicht von korrumpierbaren Journalisten, nicht von unausgeschlafenen Leuten mit Fehlern und Liebeskummer und Animositäten und schrägen Weltanschauungen, nicht von quotengeilen Programmchefs, nicht von Männern, die Streit haben mit der Frau, nicht von Frauen, die Sorgen haben mit ihren Kindern und Stress mit deren Vätern, nicht von Leuten mit fragwürdigen politischen Ansichten und der Entschlossenheit, diese zu verbreiten. Adam sieht die Nachrichten, als hätte ein neutraler, völlig unbeeinflussbarer Supercomputer sie für ihn gemacht, die wirklichen Ereignisse in ihrer natürlichen, logischen Gewichtung wahrheitsgetreu und ganz frei von ideologischen Filtern für ihn zusammengestellt. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, wie ein kluger, erwachsener Mann sich eine derartige Unbedarftheit bewahren kann, besonders eben ein Mann, der an und für sich sonst im höchsten Maß TV -kritisch ist und jede TV -feindliche, besonders jede Kinder- TV -feindliche Theorie der letzten fünfzehn Jahre auswendig aufsagen kann, der sogar Bourdieu gelesen hat. Wie er dennoch vollkommen leichtgläubig wird, sobald ihm der Sprecher der Spätnachrichten etwas erzählt. Das passt doch nicht zusammen. Das ist doch auch Fernsehen, die Nachrichten, von den gleichen versauten Hirnen entworfen wie die Kindersendungen und die Dokusoaps und überhaupt das Boulevardfernsehen.
Das einzige, was Adam sich sonst noch im Fernsehen ansieht, sind Filme, die von seiner TV -Zeitschrift mit mindestens drei von vier möglichen Sternchen bedacht wurden. Er glaubt an die Zeitschriftenwertung beinahe genauso wie an die Nachrichten, als gäbe es eine unabhängige, göttliche Fernsehprogrammbewertungskommission, die jenseits von persönlichen Vorlieben oder professionellen Animositäten auf rein wissenschaftlich-qualitativer Basis zu ihren Urteilen kommt und unbestechlich Punkte an Tatorte, TV -Filme und Kinofilme verteilt. Adam würde sich nie einen Film ansehen, der von seiner TV -Programmzeitung weniger als drei Sternchen bekommen hat. Mir reicht ein Stern völlig, ich seh mir alles an, was der Fernseher mir knapp oberhalb von null anbietet, deshalb hat Adam in seinem Arbeitszimmer seine eigene Couch und seinen eigenen Fernseher, auf dem ausschließlich Nachrichten laufen oder Vier-Sterne-Qualitätsfernsehen oder das, was die TV -Zeitschrift seines Vertrauens dafür hält.
Weil auch Adams TV -Zeitschrift einem Clint-Eastwood-Film prinzipiell nie weniger als drei Sterne verleihen würde, sahen wir uns unlängst gemeinsam «Invictus» an. Adam ist nicht heiß auf amerikanische Sportfilme, die ich liebe, Football, Baseball, Basketball, Eishockey, völlig wurscht, Hauptsache, viele muskulöse Kerle werden im Laufe des Films von einem unfähigen, zerstrittenen Haufen zu jenem verschworenen Team, das Amerika für das Heilmittel aller Probleme und die Erlösung der Welt hält. Und ich bin mit dieser einfachen Lösung aller Probleme unglaublich einverstanden, solange man mich an den richtigen Stellen rührt und das dicke Mädchen den hübschen Kerl kriegt oder umgekehrt, solange man mir von menschlichen Kollektiv-Sehnsüchten erzählt und nicht in meinen Wunden herumstochert. Ja, mit einem Team können wir uns alle identifizieren, und auch mit der Idee, dass in jedem von uns die Anlage zu etwas Großem liegt und wir nur die richtigen Leute brauchen, die das erkennen und es aus uns herausholen. Weil der Eastwood-Film sogar vier Sterne hatte, sahen wir ihn uns zusammen auf dem großen Plasmafernseher im Wohnzimmer an, gegen den sich Adam lange gewehrt hatte und den ich gemeinsam mit Elena durchgesetzt habe, weil man auf so einem viel besser Familie Petz schauen kann. Und Sandmännchen. Und Disneyfilme auch.
Bevor der Film anfing, wusste ich nicht, worum es ging. Im Unterschied zu Adam lese ich Programmzeitschriften nicht gern, erstens, weil mich das überfordert, seit wir hundertzwanzig oder hundertsechzig Sender haben, zweitens lasse ich mich lieber überraschen. Ich wusste nicht, dass es um eine weiße, südafrikanische Rugbymannschaft ging und um Nelson Mandela und warum er der
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