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Besser

Besser

Titel: Besser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Knecht
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dessen halbe Familie umgebracht wurde, ich habe Probleme mit solchen Plangläubigkeiten. Ich hab’s nicht mit dem Spirituellen. Eine Sache nur … Ich habe kürzlich mit Adam im Fernsehen einen Film gesehen, einen Clint-Eastwood-Film. Adam sieht nicht gern fern, er liest gern, er hält Fernsehen für Idiotenfutter. Ich lese nicht viel, jedenfalls nicht derzeit. Früher habe ich gern gelesen, ganz pragmatisch und klischeehaft deshalb, weil es die einzige Fluchtmöglichkeit war und mich für ein paar Stunden aus meinem Scheißleben herausholte. Es versetzte mich in Menschen, die niemanden sterben sehen hatten, die niemandem nicht geholfen hatten, die nicht mitschuldig waren, die erlöst wurden.
    Und ich wurde auch erlöst, irgendwie, und jetzt habe ich selbst ein Leben, mit Liebe darin und schönen Erlebnissen und Kindern, und mit einem riesigen Flachbildfernseher, und jetzt brauche ich die Bücher nicht mehr so sehr. Jetzt sehe ich lieber fern, es ist mir relativ egal, was kommt, ich schalte ein und dann schaue ich. Zur Zerstreuung und damit der Abend vergeht und damit ich nichts anderes tun und nicht nachdenken muss und weil ich zu müde und zu träge bin, um irgendetwas anderes zu tun. Oder weil ich an manchen Tagen überhaupt am liebsten nur im Bett bleiben würde und mir am Abend das Fernsehen erlaubt, diesem Wunsch nachzugeben, da es offenbar sozial wesentlich weniger verstörend wirkt, wenn jemand in den Fernseher schaut, als wenn jemand einen Tag oder einen Abend lang an die Decke schaut, was als krank gilt.
    Merkwürdige Welt, das, aber grundsätzlich sehe ich aus den gleichen Gründen fern wie alle anderen Menschen auch, und es sind eben genau die Gründe, aus denen Adam es nicht tut. Warum er Fernsehen verachtet und ablehnt und es den Kindern grundsätzlich verbieten möchte. Er sagt, es macht sie blöd. Er sagt, schau sie dir an, wie sie aussehen, wenn sie vor dem Fernseher sitzen: Siehst du das?
    Ja, ich sehe das. Ihr Blick ist stumpf, und wenn es nicht gerade etwas zu lachen gibt, wirken sie ernst, sorgenvoll, dumpf und vor allem völlig überfordert. Das Fernsehen ist zu schnell für sie und viel zu laut, das Tempo der Sprache, der Witze und der Bildwechsel, das können sie noch gar nicht verarbeiten. Adam hält das gar nicht aus, die Kinder so zu sehen, es macht ihm ein schlechtes Gewissen, gibt ihm das Gefühl, er misshandle sie irgendwie. Ich sage ihm dann, dass er ja grundsätzlich recht hat mit allem, aber dass es uns selbst und vielen anderen ja doch auch nicht so furchtbar geschadet hat. Adam sagt dann, dass das Fernsehen, als wir Kinder waren, viel langsamer war, kein Zehntel so hektisch wie jetzt, wir bekamen ein Bild nach dem anderen, so wie bei der Familie-Petz- DVD , die er den Kindern vor ein paar Wochen geschenkt hat. Kommt zuerst der Petzi-Bär ins Bild, dann schaut die Fips-Maus herein, dann passiert lange nichts, dann sagt der Opa-Bär etwas, dann sagt der Oma-Bär etwas, dann lachen sie alle lustig, das dauert insgesamt zehn Minuten, alles ganz langsam, immer eins nach dem anderen, und dann ist die Geschichte aus und alle sind glücklich, trallala. Nicht so ein Stroboskop-Fernsehen, wie es heutzutage auf die Kinder einbrüllt und einprasselt, in einem Tempo, das sogar mich überfordert und das sie verstört zurücklässt.
    Jaja. Er hat ja recht. Er hat recht, wenn er sagt, dass Kinderfernsehen eigentlich nur für die Erwachsenen gut ist, aber trotzdem. Wenn man ein Kind wie Juri hat, ist man dem Fernsehen dankbar, dass es einem gelegentlich eine halbe Stunde verschafft, in der man nicht irgendwas Verschüttetes aufwischen oder etwas Kaputtes wieder ganz machen oder Juris Leben retten muss. Also, ich bin jedenfalls dankbar. Adam ist da gleichmütiger, aber ich bin froh um diese halben Stunden, wo garantiert nichts passiert, in denen der Kleine mit einem Saftbecher sicher vor dem Fernseher geparkt ist und ich einfach einmal etwas zu Ende machen kann, ohne ihn ständig über die Schulter kontrollieren zu müssen, oder alle zwei Minuten das, was ich gerade mache, fallen zu lassen, um zu schauen, was er jetzt wieder angestellt hat. Das bisschen Fernsehen kann für ein Kind nicht schlechter sein als eine komplett überforderte Mutter mit praktisch permanentem Nervenzusammenbruchsrisiko.
    Aber Adam schaut im Fernsehen ja nur die Nachrichten, ausschließlich die Nachrichten, das ist für ihn das einzige, was im Fernsehen Sinn hat, wofür er überhaupt einen Fernseher besitzt. Nur Nachrichten.

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