Besser
einem dampfenden Teller mit einem Reishügel, gefüllter Melanzani und grünem Salat. Der Schnurrbart des Kellners demütigte in seiner immensen Buschigkeit die dünne schwarze Linie auf Moritz’ Oberlippe, verspottete sie, als er den Teller vor ihn hinstellte. Moritz fiel es nicht auf. Ich bestellte ein Glas Weißwein, während Moritz gierig auf die Melanzani losging.
«Entschuldigung, dass ich schon bestellt habe, ich war am Verhungern.»
«Ich habe eh schon zuhause gegessen.»
«Schau, genau das dachte ich mir.»
«Wolltest du nicht Vegetarier werden?»
«Nein. Ich wollte nur kein Fleisch mehr essen.»
«Ist das nicht dasselbe?»
«Keineswegs, Darling», sagte Moritz und gabelte Reis in sich hinein, dem grüner Salat folgte.
«Und zwar weil?»
«Das eine ist eine Individualentscheidung. Beim anderen handelt es sich um eine Ideologie. Du weißt, was ich von Ideologien halte.» Er säbelte ein Stück von dem Gemüse herunter und schob es in den Mund, eine Gabel voll gebratenem Hackfleisch gleich hinterher.
«Okay. Wolltest du nicht auf Fleisch verzichten?»
«Doch.»
«Und?»
«Ich mach gerade eine Verzichtspause.»
«Wie lange dauert die?»
«Weiß ich noch nicht.»
«Und wie lange hast du davor, also bis zu dieser Pause, verzichtet?»
«Na ja.»
«Ach so.»
«Ja. Egal. Erzähl, was mit Alenka passiert ist.»
Ich erzählte von Alenka. Von Adile. Von den rot-weißen Absperrbändern. Von der Polizistin. Dem blauen Auge. Dem schwarzen Blouson vor der grünen Tür. Von Adam, und wie deprimiert er war und wie schuldbewusst. Von der Schuld. Von meiner Schuld.
Moritz dachte lange nach.
«Ja», sagte er.
«Was ja», sagte ich.
«Ja, man hätte es vielleicht verhindern können.»
Ich schaute ihn an. Sein fast schwarzes Haar war an den Seiten kurzrasiert, das längere oben war so zurückgekämmt, dass es auf seinem Kopf einen perfekten, vom Strich eines groben Kamms strukturierten, vermutlich steinharten Hügel formte. Sein Schnurrbart war akkurat gestutzt wie immer, streng Rhett Butler meets Ron Mael, und alles in seinem Gesicht war penibel gezupft und rasiert, aber seine Augen hinter der Philip-Johnson-Brille waren so weich und fahrig und verletzlich wie die eines Kindes, das gerade aufwacht.
«Ja. Du hättest es sehen können. Du hättest die Polizei hinschicken können, damals. Du hättest mit Alenka reden können, sie davon überzeugen, dass sie in ein Frauenhaus geht, du hättest Mirkan anzeigen können, Adam hätte mit Mirkan reden können, du hättest …»
«Genau. Und das hätte es vielleicht verhindert.»
«Ja, das hätte es vielleicht.»
«Siehst du.»
«Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Wahrscheinlich nicht.»
«Das sagst du nur, damit ich mich besser fühle. Danke. Leider funktioniert es nicht.»
«Du bist nicht für alles verantwortlich, was um dich herum geschieht. Du kannst nicht von jedem wissen, was in ihm vorgeht, was in ihm brodelt. Du kannst das Schicksal nicht dirigieren und ziemlich sicher auch nicht ändern, außer dein eigenes, und auch das nur in einem bestimmten Maß. Du bist nicht Jesus. Du kannst nicht die Schuld für alles auf dich nehmen. Du kannst nichts für das, was in Mirkan gewütet hat, was Stolz, Eifersucht, Erziehung, Religion oder was weiß ich in ihm angerichtet haben mögen. Und du kannst nichts dafür, dass Alenka sich diesen Mann ausgesucht hat, einen Schläger und Mörder. Und dass sie bei ihm geblieben ist, obwohl sie wusste, wissen musste, selbst erfahren hat, was in ihm steckt, und welche Gefahr von ihm ausgeht. Das war ihre Entscheidung. Du kannst nichts dafür, dass sie ihn nicht verlassen hat.»
«Vielleicht hätte sie eben genau meine Hilfe gebraucht.»
«Vielleicht. Aber sie hat sich nicht an dich gewandt, obwohl du da warst. Sie sogar gefragt hast.»
«Weil sie Angst hatte, vermutlich.»
«Ja. Aber du kannst nicht hinter die Angst jedes Menschen sehen. Es ist geschehen. Jetzt ist das geschehen. Du kannst nichts mehr tun. Es musste wohl geschehen, irgendwie. Man kann nichts mehr daran ändern.»
«Hm.»
«Was meine Großmutter immer sagte: Es kommt, wie es kommt. Und hier kam’s jetzt eben so.»
Sein Gerede ging mir ein bisschen auf den Geist. Dieser dämliche Fatalismus der Hobby-Buddhisten und Yoga-Mädchen. Dieses Vorsehungsgequatsche, dieser kindische Scheiß mit dem großen göttlichen, sich von selbst erfüllenden Plan, gegen den man praktisch machtlos ist. Ich bin mit einem Mann jüdischer Abstammung verheiratet,
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