Besser
Meinung war, dass diese Mannschaft nach dem Ende der Apartheid unter seiner Regierung genauso zusammen bleiben und die Weltmeisterschaft gewinnen musste. Ich hatte nicht einmal eine Ahnung, dass in Südafrika Rugby gespielt wird. Ich wusste nicht, dass ein Gefängnis vorkam, eine vergitterte Zelle. Und dann sah ich den Film, er ging mir an die Nieren und wühlt noch immer in mir. In mir wühlte das Gedicht, das Clintwood schon im Titel zitiert. Ich habe mir nur die letzten beiden Zeilen gemerkt: I am the Master of my fate; I am the Captain of my Soul. Das blieb hängen. The Master of my Fate, the Captain of my Soul. Ich hatte mich nie groß für Nelson Mandela interessiert oder für die Apartheid, nichts davon hatte mit mir zu tun gehabt, bisher. Aber was er in dem Film über Vergebung sagte, berührte mich und ließ mich nicht los. Vergeben, verzeihen, allen, alles.
Noch in der Nacht, vor dem Schlafengehen, googelte ich Mandela, und am nächsten Tag im Atelier las ich alles, was ich im Netz über ihn finden konnte. Das war am Tag, bevor Alenka starb. Ich lag mit dem Laptop auf meinem Sofa, das in der finstersten, sonnengeschütztesten Ecke des Ateliers steht, und las. Ich suchte nach dem Gedicht und druckte es mir aus und hängte es mir im Atelier über den Schreibtisch. Ich druckte ein kleines Foto von Nelson Mandela aus und hängte es daneben, über die Fotos von Sid Vicious und Ian Curtis und die Texte von Morrissey.
Was mich so berührte: Dreißig Jahre war er im Gefängnis gewesen, zu Unrecht und willkürlich, war Unterdrückung und Gemeinheit ausgesetzt. Dreißig Jahre das Rauschen der Ungerechtigkeit im Kopf, und dann ging er hinaus und vergab allen. Allen. Weil er sagte, er hätte anders gar nicht weiterleben können, weil Hass und der Wunsch nach Rache einen handlungsunfähig machen und die Zukunft verstellen. Ja … ja. Das kommt mir bekannt vor, ja. Nur, dass bei mir alles viel kleiner war, winzig klein im Vergleich, minimal. Und ich kann trotzdem nicht vergeben.
«Ich bin der Meister meines Schicksals», sagte ich.
«Den habe ich auch gesehen», sagte Moritz. «Toller Film. Etwas zäh an manchen Stellen.»
«Aber er hebelt deine Fatalismus-Theorie aus. Dass eh alles so kommt, wie’s kommen muss. Dass hinter allem ein großer göttlicher Plan steckt, gegen den man eh wehrlos ist. Dass man nur gelassen zuschauen muss, wie es kommt, und dann kommt es schon richtig.»
«Nein, tut er nicht. Das hebelt er keineswegs aus», sagte Moritz.
«Tut er doch.»
«Nein», sagte Moritz bestimmt. Mir war nie klar gewesen, dass er so esoterisch ist. «Kapitän deiner Seele: Das bedeutet doch, dass du dir deine Seele nicht von den Umständen vergiften lässt. Dass du sie gesund hältst, egal was dir angetan wurde und wird und einerlei, was um dich herum passiert. Damit du dich dem, was passiert, gelassen stellen kannst, stark und gesund.» Heiliger. Das klang nun aber doch sehr nach der frohen Botschaft für die ganz, ganz armen Esoterikfreaks. So viel schlecht verdautes Guru-Heilsversprechen macht mich nervös. Und grantig.
«Ach ja?», sagte ich. «Ich glaube, Alenka hatte eine sehr reine, gesunde Seele. Bedauerlicherweise ist der Körper, in dem die schöne Seele wohnte, jetzt tot.»
«Oder sie war eine dieser Frauen, die darauf vertrauen, dass alles besser wird, wenn sie nur lieb und brav sind. Die glauben, das Lieb-und-brav-sein, das Dulden-und-Ertragen besänftige schließlich das Schicksal, weil sie nicht erkennen, dass der Kerl und ihr Schicksal gar nicht dasselbe sind, dass der Kerl ihr Schicksal bestimmt, das sie ohne den Kerl selber bestimmen könnten.» Moritz hatte sich über den Tisch gebeugt, den leeren Teller energisch zur Seite geschoben, und seine Stimme war zu laut und sehr scharf. «Das hat mit einer gesunden Seele nichts zu tun, sondern nur mit einer verleugneten. Sie hatte ihr Schicksal auch in der Hand, aber sie hat es sich von Mirkan abnehmen lassen.»
«Ja», sagte ich, eingeschüchtert. «Ja, schon gut. Hast eh recht.» Ich war erschöpft und niedergeschlagen, und ich hatte eigentlich doch keine Lust zu diskutieren. «Ich glaube, Adile wird es gut gehen bei Zsusa. Sie ist eine gute Frau. Und ich habe gesehen, dass sie viel stärker als Alenka ist.»
«Dann ist doch wenigstens das in Ordnung», sagte Moritz. Er war offenbar ebenfalls zu erschöpft zum Streiten.
«Gut, dass Adile dort ist», sagte ich. «Ich hätte ihr vermutlich noch mehr Unglück gebracht.» Moritz sah mich an.
Weitere Kostenlose Bücher