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Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Titel: Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Müller
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Unterweger und je länger ich versuchte, mein Gegenüber anzustarren, desto müder wurden die Lider. Aber jedes Mal, wenn ich meine Augen auch nur für den Bruchteil einer Sekunde in die angenehme einhüllende Dunkelheit der sich schließenden Lider in Sicherheit brachte, kamen Erinnerungen hoch, kurz und blitzartig – ähnlich einer Assoziation, die beim Anblick einer anderen Person, eines Gebäudes oder eines kleinen Gegenstandes wie eines Ringes, einer Zeichnung oder einer Fotografie ausgelöst wird. Derartige Assoziationen bedürfen keiner langen Überlegung. Sie sind da und überschwemmen für den Bruchteil einer Sekunde unseren gesamten Körper mit kaum beschreibbaren Gefühlen – angenehmen und unangenehmen, kratzenden und beunruhigenden, aufwühlenden und sexuellen. Es sind jene gedanklichen Freiheiten, die eingeschränkt unantastbar sind. Sie sind individuell, gleichsam berauschend wie die sich ewig hin und her wiegenden Baumkronen der Empfindungen. Sind sie irdisch oder währen sie ewig? Erinnern wir uns daran, wenn wir nicht mehr sind? Diese Assoziationen und Gefühle sind mächtig. Sie retten Leben und zerstören, aber sie können auch bohrend sein wie der ewig und langsam nagende Wurm, der uns nicht loslässt, wenn wir ein schlechtes Gewissen haben, oder die alles in ihren Bann ziehende Ungewissheit, die wie eine am Porzellanteller kratzende Gabel in der Kinderhand unseren Körper in die Verzweiflung treiben kann: die Ungewissheit über den Ausgang einer ärztlichen Untersuchung. Die Ungewissheit über den Verbleib des Kindes, das schon alle suchen. Die Ungewissheit, ob die noch so perfekte Lüge als Wahrheit akzeptiert wird oder nicht. Die Dunkelheit als Notwendigkeit, um in den Fantasien zu baden. Die Erinnerung an Einzelheiten, um die Fantasien auszubauen, und die Hormone als Gewürz, um die Fantasie, die sich aus Teilen der Realität nährt, in berauschende Ekstase überzuführen oder in vernichtende Selbstanklage.
    „Es gibt Menschen, die in Erfahrungswelten leben, die wir nicht betreten können.“
    Was ist, wenn wir in diese Bereiche vordringen und Dinge sehen, die wir gar nicht sehen wollen? Was ist, wenn wir Erkenntnisse gewinnen, die wir nicht verarbeiten können? Was passiert, wenn uns in Teilen unser eigenes Gesicht entgegenblickt und sich allzu rasch in eine alles zerstörende Fratze verwandelt, um uns kurz, klar und deutlich eine Botschaft mitzugeben: Hüte dich!
    „Unsere Persönlichkeit dringt uns jeden Tag aus allen Poren“, meinte Freud. Was aber, wenn wir nicht nur unsere Persönlichkeit jeden Tag nach außen tragen, sondern auch den Bereich der Gefühle, wenn wir durch unsere Verhaltensweise auch diesen so privaten Bereich geradezu zur Schau stellen? Wären wir nicht offen wie ein aufgeschlagenes Buch und damit auch verletzbar wie ein Igel, den der Hund ins Wasser rollt und der sich aus dem reinen Trieb des Überlebens – um nicht zu ertrinken – aus einer stacheligen Kugel in ein verwundbares Tierchen verwandelt? Was ist, wenn es Menschen gibt, welche die Fähigkeiten besitzen, diese Bereiche auszunützen, um damit Einzelne, eine Gruppe oder Massen zu beeinflussen, Menschen, die damit Kriege beginnen, ohne selbst die Waffe in die Hand zu nehmen, die andere auffordern, Menschen zu töten, ohne jemals selbst das Blut der Opfer gesehen zu haben?
    Heisenberg war Physiker, aber er hat gemeint, wir können nichts untersuchen, ohne dass wir es dabei verändern. Wir sind gut beraten, uns der Ursachen bewusst zu sein, bevor wir die Wirkung verdammen. Und da gab es noch etwas, was mich gedanklich beschäftigte, bevor ich der harten Realität dieses Gespräches ins Auge blicken musste. Da war noch etwas, was ich näher betrachten wollte, wo ich in letzter Zeit immer öfter die Wirkungen gesehen hatte, aber erst langsam, langsam die Ursachen verstand. Es war mehr eine Geschichte, die für den Bruchteil einer Sekunde vorüberzog, für die Dauer einer kurzen Blindheit, die automatisch entsteht, wenn wir zu lange die Augen schließen.

46.

    Er hatte in letzter Zeit seine Frau immer öfter gebeten, noch etwas Geduld zu haben. Er war davon überzeugt, der Augenblick würde kommen, wo er alles wiedergutmachen konnte: seine Abwesenheiten, seine Unruhe, manchmal seine mehr als ungerechtfertigten Angriffe und auch seine nicht mehr zu beschreibenden geistigen Abwesenheiten. Er war felsenfest davon überzeugt, dieser Augenblick würde wiederkommen, so wie früher, als er noch mit lächelnder

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