Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)
einen befreundeten Edelmann dazu zwingt, seinen eigenen Vater in einem alten Schlossgemäuer im Wald den Hungertod sterben zu lassen. Franz zwingt die ehemalige Geliebte seines Bruders Karl, seine Mätresse zu werden. Er fordert einen mehr als 70-jährigen alten Diener auf, seinen zurückgekehrten Bruder zu ermorden, und begeht im Stück von Friedrich Schiller nahezu jedes Verbrechen, das man als Einzelner begehen kann.
Aber Schiller stattet ihn mit unglaublicher Intelligenz aus, mit den Fähigkeiten zu manipulieren, zu antizipieren, andere Menschen so weit zu treiben, dass sie Handlungen begehen, die sie nie begehen wollten. Er beschreibt in seinem Stück am Ende eine Szene, in der sich Franz Moor gezwungenermaßen mit Schuld und Sühne auseinandersetzen muss.
All diese Gedanken und Erkenntnisse waren schließlich der Anlass dafür, dass ich, eingesperrt in einer Almhütte in den Schweizer Bergen, eine Woche lang nach konkreten Vorgaben des Dramaturgen das Stück „Richard III.“ und Schillers „Räuber“ aus kriminalpsychologischer Sicht „befundete und begutachtete“, um daraus ein Miniatur-Bühnenstück zu machen. Es waren zwei Aufführungen geplant, schlussendlich wurden es fast 20. Die kriminalpsychologische Aufarbeitung des Königsdramas „Richard III.“ wurde zum alljährlich stattfindenden Theatertreffen in Berlin als Rahmenprogramm und von Publikum und Medien begeistert aufgenommen. Die dramaturgische Vorgabe von Schillers „Räubern“ gab mir für die Szene, bei der Franz Moor sich mit Schuld und Sühne auseinandersetzt, nicht mehr als vier Minuten und trotzdem wurde sie zur Schlüsselszene, in der sich nicht nur die Tarnung, sondern auch die Lüge, insbesondere aber die Strategie von all jenen Menschen zeigte, die wir allzu rasch verurteilen und als Bestie Mensch bezeichnen.
Franz Moor, das erste Mal von Schuldgefühlen geplagt, zwingt seinen alten Diener namens Daniel dazu, ihm zuzuhören. Er teilt ihm mit, er werde ihm einen Traum erzählen, aber er habe die klare Aufgabe, ihn dafür auszulachen. Franz Moor erzählt ihm, er sei betrunken im Schlossgarten gelegen und ein Donner habe ihn aufgeweckt. Man habe seinen Namen gerufen und ihn aufgefordert, nach vorne zu treten, und er habe gesehen, wie Berge, Täler, Wiesen und Felder wie Wachs zerschmolzen seien, und auf einem Berg in drei rauschenden Stühlen seien drei alte Männer gesessen. Einer habe einen ehernen Siegelring in der Hand gehalten, der zweite einen Spiegel und der dritte eine Waage. Man habe ihn aufgefordert, seine guten und schlechten Taten in die Waagschale zu werfen, und bis zum Schluss habe die Waagschale mit den guten Taten die Oberhand behalten. Bis schlussendlich ein alter Mann mit langem lockigen weißen Haar vorgetreten sei, sich einen Teil seiner Haartracht abgeschnitten und in die Waagschale mit den schlechten Taten geworfen habe. Diese sei daraufhin krachend zu Boden gedonnert. Der alte Mann sollte offensichtlich Franz Moors eigenen Vater darstellen, den er ja selbst dazu verurteilt hatte, den Hungertod zu sterben.
Der alte Diener Daniel lacht ihn aber nicht aus, gläubig, wie er nun einmal ist, meint er lediglich, dass es sich dabei mehr um das Jüngste Gericht handle als um einen schlechten Traum. Und Franz Moor braust auf.
Franz: „Geh, geh! Ruf mir Pastor Moser! Ich muss mich jetzt mit einem Pfaffen streiten.“
Daniel: „Ich gehe.“
… Pastor Moser tritt auf.
Moser: „Moor, warum hast du mich rufen lassen? Das hast du noch nie getan.“
Franz: „Oh, Moser. Ich finde gerade keinen Gefallen am Schachspiel. Ich muss mich mit einem Pfaffen herumbeißen. Beweise mir mit all deinen verbalen Waffen, dass es ein Leben nach dem Tode gibt. Beweise es mir. Aber ich werde jedes Argument von dir mit dem Hauch meines Mundes hinwegblasen.“
Moser: „Dafür bin ich zu klein, Moor. Das wird dir zum richtigen Zeitpunkt ein anderer sagen. Aber sage mir, warum hast du mich rufen lassen? Jetzt um diese Zeit, um diese Stunde?“
Franz: „Nicht schlecht, Moser, aber damit wirst du mich nicht ins Bockshorn jagen. Ich habe es dir oft genug beim Burgundersaufen zugerufen. Es gibt keinen Gott. All das Geschwafel von einer ausgleichenden Gerechtigkeit und einem Leben nach dem Tod ist nur etwas für Menschen, die im tagtäglichen Leben zu kurz gekommen sind. Die Mediziner haben es mich gelehrt, wenn nur ein Tröpfchen in meinem Gehirn falsch läuft, dann ist es aus. Auch wenn ich all meine sieben Schlösser schleifen lasse
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